Architektur:Isst du noch oder genießt du schon?

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Oben schlemmen, unten schwimmen - und andere Ideen neuer Gastlichkeit: Studenten entwerfen das Restaurant der Zukunft.

Von Christoph Wiedemann

Hier wird noch ein Podest zurecht gerückt. Dort zupft eine zarte Frauenhand Staubflusen von einem Miniaturtischchen in einem dreidimensionalen Architekturmodell. Sieht alles ziemlich professionell aus, obwohl die kleine Ausstellung nur für einen Tag und mehr oder weniger improvisiert auf einem Gang der Münchner Kunstakademie stattfindet.

Der Entwurf "Food for the MInd" bietet Liegeflächen zur Rast. (Foto: Foto: oh)

Es sind ja noch Ferien. Aber die Studierenden der Klasse Innenarchitektur von Professor Manfred Kovatsch haben diesmal außerordentliche Aktivität entfaltet. Der Herausgeber eines Gastromagazins war an Kovatsch und seine Schüler herangetreten mit der Idee zu einem kleinen, klasseninternen Wettbewerb. Die Studenten sollten sich Gedanken machen über das "Restaurant der Zukunft".

Eine Jury würde aus den eingehenden Entwürfen drei Preisträger auswählen und noch einmal eine größere Präsentation ermöglichen. Der Professor war sofort Feuer und Flamme für ein derart praxisnahes Projekt. Und seine Studenten wohl auch. Die siebenköpfige Jury hat sich für diesen frühlingshaft warmen Aprilnachmittag angesagt.

Was sie zu sehen bekommen wird, ist tatsächlich visionär. Elf Entwürfe machen die Wahl zur Qual. Und eigentlich wünscht man sich als Genuss suchender Laie fast jeden davon realisiert. Sicher, es braucht ein wenig Abstraktionsvermögen, um sich in die Modellchen einfühlen zu können. Aber Pläne und vor allem die Erklärungen der Studenten helfen dabei.

Im Separee durch den Orbit

Da tanzen beispielsweise bunte Plexiglaskugeln durch den Raum. Bei genauerem Hinsehen sitzen kleine Figürchen in diesen, wie Perlen an einer Schnur aufgereihten Kokons. Untereinander verbunden sind sie durch eine spiralförmig durch den Raum gedrehte Rampe. Die Idee dahinter erläutert die zunächst in ihren Einlassungen noch etwas schüchtern wirkende Julia Schiffner: ein Lokal, das Öffentlichkeit und Privatheit verbindet. Zu ebener Erde darf getanzt werden.

Ausgelassene Disco-Atmosphäre, Abhängen an der Bar oder sich die bewegten Bilder auf der Video-Wand reinziehen! Hat man dann den oder die richtigen Partner gefunden, kann noch an Ort und Stelle der Rückzug in luftige Höhen angetreten werden. Es lockt Geborgenheit in Separees, die wie kleine Raumschiffe an einer spiralförmigen Rampe durch das Gebäude kreisen wie durch den Weltraum. Auf der Hand liegt deshalb auch der Titel dieses Entwurfes: "Orbit".

Die Juroren, manche selbst Gastronomen, sind beeindruckt. Die Vielseitigkeit des Entwurfes gefällt. Diskothek und Speiserestaurant in einem. Das könnte neue Marktchancen eröffnen. Denn auch darum geht es beim Restaurant der Zukunft, wie Willy Faber, Jurysprecher und Herausgeber des Fachmagazins Gastroreport, klarstellt.

Vor diesem Hintergrund dürfte ihm und seinen Kollegen das knallhart durchkalkulierte Modell von Steffi Rack am meisten imponiert haben. Die junge Innenarchitektin geht pragmatisch vor. Jedes Geschäft lebt von einem möglichst guten Standort. Leider sind die wenigen Top-Lagen in einer Stadt auch dementsprechend teuer. Was also liegt näher als zu versuchen, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. ¸¸From Dusk till Dawn" - sehr frei übersetzt ¸¸rund um die Uhr" - heißt Racks gestaltete Geschäftsidee und meint eine Kombination aus Klamottenladen und Fresstempel.

Während des Tages kann sich die gehobene Klientel zwischen Designerware und teueren Accessoires vergnügen. Am Abend dann zieht man den Edelfummel an Seilen unter die Decke, damit aufgetischt werden kann. Erinnert ein wenig an die Waschkauen, in denen früher Bergarbeiter ihr Umkleideproblem lösten. Rechnen dürfte sich das Kombimodell auf jeden Fall.

Schaut man in die Gesichter der gestrengen Juroren, scheint an dieser Stelle bereits eine Vorentscheidung gefallen zu sein. Auch wenn die phantasievollsten Entwürfe erst noch kommen. Zum Beispiel die ¸¸Felderwirtschaft", in der die Gäste beim Essen zwischen Blumen- und Kräuterbeeten Platz nehmen sollen. Natürlich alles fein säuberlich getrennt. Grüne und blühende Natur ist hier nur als Augenweide hinter zylindrischen Glaskuben zur Schau gestellt.

Überhaupt das Spiel mit Glas! ¸¸Sehen und gesehen werden" heißt ein Entwurf, der dem eintreffenden Gast von allen Seiten einsehbare Auftrittsmöglichkeiten gewährt. Ein Kommilitone baut gleich einen Komplex von Kiosken, Wandelgängen, Sitz- und Stehnischen an das Ufer einer Flusslandschaft. Schließlich kann ein spannender Ausblick den Genuss beim Essen erhöhen.

Wieder bringt Willy Faber seine Jury-Kollegen auf Linie, indem er noch einmal einfließen lässt, dass es bei dem Wettbewerb doch darum gehe, sich von den jungen Kreativen Ideen für die boomenden Läden von morgen zu holen. Da passt ein zum erotischen Genusstempel umgebautes ehemaliges Heizkraftwerk schon eher ins Bild.

Im Anschluss an Tafelfreuden zieht man sich in traute Zweisamkeit zurück. Zur Animation, falls überhaupt noch nötig, kann sich jedes Pärchen beliebig Filme einspielen lassen. Der mit Abstand sinnlichste Vorschlag jedoch stammt von einer jungen Finnin: Laura Brotherus kombiniert zwei zentrale körperliche Genüsse.

Ein Traum die Vorstellung, in einem zweistöckigen Lokal oben Hummer zu schlemmen, in dem unten Saunen, Badebecken und Quellen zur Entspannung einladen, während ein Stockwerk höher erlesene Speisen gereicht werden. Alles mit Blickkontakt natürlich und mit der Möglichkeit, zwischen zwei Verwöhnarten zu wechseln.

Wie die Jury am Ende entschieden hat, bleibt vorerst geheim und wird erst am 25. April zur Eröffnung der Fachmesse Hoga enthüllt. Erster Preis: eine Gastro-Education-Tour in eine europäische Hauptstadt, Wert: 1000 Euro. Die anderen Teilnehmer bekommen eine Champagnerflasche und ein Fest finanziert.

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