Architektur:Funkelnder Quell der Zuversicht

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Tempelartiger Sockel, filigraner Aufbau: die neue Synagoge der Israelitischen Kultusgemeinde in München.

Salomon Korn

Ein bemerkenswerter historischer Bogen spannt sich von der 1826 am Rand der Altstadt in der heutigen Westenriederstraße errichteten Synagoge zur neuen Synagoge der Israelitischen Kultusgemeinde München auf dem zentral gelegenen Sankt-Jakobs-Platz.

Die Synagoge bei Dämmerung. (Foto: Foto: Andreas Heddergott)

Die abseitige Lage und die unauffällige Gestaltung des von Jean Baptiste Metivier im klassizistischen Wohnhausstil errichteten ersten neuzeitlichen Gotteshauses der Münchner Juden gehen unmittelbar auf das bayrische Judenedikt von 1813 zurück. Wenngleich es das Edikt nach Jahrhunderten der Rechtlosigkeit jüdischen Familien von nun an gestattete, sich in München niederzulassen und ihre Religion auszuüben, so war dies, wie der Synagogenbau in der Westenriederstraße beispielhaft belegt, nur unter starken Einschränkungen möglich.

Hitler ordnete den Abriss persönlich an

Es folgten im Laufe eines Jahrhunderts die Errichtung des Israelitischen Betsaals in der Herzog-Rudolf-Straße 1873, der Hauptsynagoge Herzog-Max-Straße 1887, der Synagoge in der Herzog-Rudolf-Straße 1891 und neben anderen Betsälen der 1914 eingerichtete Israelitische Betsaal in der Reichenbachstraße.

Aus den einst verpönten "Judenschulen" der Voremanzipationszeit waren in München, wie im übrigen Deutschland auch, im Laufe des 19. Jahrhunderts stattliche Betsäle, Synagogen, ja, Tempel geworden - eine programmatische Bezeichnung, denn die deutschen "Israeliten", wie viele deutsche Juden sich fortan nannten, sahen nicht mehr im fernen Zion, sondern in Deutschland das gelobte Land, in dem der messianisch verheißene Tempel zu bauen sei. Doch diese Illusion währte nicht lange.

Noch bevor am 9. und 10. November 1938 überall in Deutschland jüdische Gotteshäuser brannten, begann bereits am 9. Juni 1938 der von Adolf Hitler persönlich angeordnete Abriss der im Stadtzentrum gelegenen Synagoge in der Herzog-Max-Straße. Die in Anlehnung an "altchristliche Kirchen" der deutschen Romanik gestaltete Hauptsynagoge der Israelitischen Kultusgemeinde war über ein halbes Jahrhundert für jüdische wie nichtjüdische Bürger Sinnbild der Integration der Juden in München gewesen.

Über den Akt materieller Zerstörung hinaus sollte der Abbruch der Hauptsynagoge im Herzen Münchens die gesellschaftliche Ächtung der Münchner Juden, die Ausgrenzung des Judentums aus der "Hauptstadt der Bewegung" und schließlich dessen Auslöschung in Deutschland symbolisieren. Wenn am

9. November 2006 auf dem zentral gelegenen Sankt-Jakobs-Platz eine neue Synagoge eingeweiht wird, dann lässt sich die Bedeutung dieses Ereignisses erst vor diesem historischen Hintergrund ermessen.

Wie die "Latenzzeit des Schweigens" in Deutschland nach 1945 eine unvoreingenommene Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit lange erschwerte, so hat es Jahrzehnte gedauert, bis das Thema der Zerstörung jüdischen Lebens und jüdischer Gotteshäuser in Deutschland gestalterisch Eingang in die moderne Synagogenarchitektur fand.

Zwischen Fragilität und Stabilität

Das Motiv der Fragilität und Stabilität, des Provisoriums und der Dauerhaftigkeit - jene Pole, zwischen denen jüdisches Leben in Deutschland nach wie vor schwankt - findet sich zum ersten Mal gestalterisch überzeugend in der am 9. November 2001 eingeweihten Synagoge Dresden umgesetzt. Dieses vor allem im Inneren der Dresdner Synagoge erkennbare Leitmotiv haben die Architekten Wandel, Hoefer, Lorch und Hirsch bei der neuen Synagoge am Sankt-Jakobs-Platz durchgehend anklingen lassen.

Die Münchner Synagoge ist Teil eines stadträumlichen Ensembles, das aus drei aufeinander bezogenen Gebäuden besteht: dem Jüdischen Gemeindezentrum, der Synagoge und einem Jüdischen Museum. Von allen in Deutschland nach 1945 errichteten Synagogen als integrierte Baukörper jüdischer Gemeindezentren behauptet sich die neue Synagoge am Sankt-Jakobs-Platz am stärksten als baulicher Solitär. Vor dem 9. November 1938 waren Synagogen in Deutschland, besonders jene in Großstädten, oft freistehende Monumentalbauten und als solche selbstverständlicher Teil des Stadtbildes.

Gemeindeeinrichtungen befanden sich allenfalls in Anbauten. Nach 1945 erzwang die geringe Mitgliederzahl in den Jüdischen Gemeinden die Konzentration aller Gemeindeeinrichtungen in einem zusammenhängenden Gebäudekomplex - zum Nachteil der aus architektonischer Sicht auf Abstand zum Betrachter angewiesenen Monumentalwirkung des jüdischen Gotteshauses.

Was sich bereits in Dresden abzeichnete, wird in München unübersehbar sein: obwohl Teil einer Gebäudegruppe, ist die Synagoge zu einem, den sie umgebenden Stadtraum beherrschenden Monument geworden - Ausdruck eines neuen Selbstbewusstseins, das jüdische Präsenz in München, nicht zuletzt durch Zuwanderung neuer Gemeindemitglieder aus Osteuropa, unaufdringlich, aber unverkennbar zeigt: gleichsam antinomisch fügt sich der Synagogenbaukörper in die umgebende Bebauung ein - und sperrt sich gleichzeitig dagegen.

Spannungsvoll in der Schwebe

Die architektonische Qualität dieses Sakralbaus liegt vornehmlich im Kontrast zwischen massivem tempelartigen Sockelgeschoss und filigranem gläsernen Aufbau. Damit wird auf baukünstlerischer Ebene die Ambivalenz deutsch-jüdischer Nachkriegsgeschichte, das Schwanken zwischen Provisorium und Dauerhaftigkeit spannungsvoll in der Schwebe gehalten - eine überzeugende bauliche Metapher, in der die Hoffnung auf eine Zukunft jüdischen Lebens in Deutschland in all seiner Widersprüchlichkeit angemessen aufgehoben bleibt.

Doch beinhaltet diese Architektur mehr als das Wechselspiel zwischen Fragilität und Stabilität: Darüberhinaus ist sie Sinnbild einer aus der Materie sich lösenden Vergeistigung des Menschen gegenüber seiner ursprünglichen, kreatürlich-triebhaften Natur, des Weges vom Dunkel ins Helle, von der Unmündigkeit zur Aufklärung, von der Barbarei zur Menschlichkeit.

Vor allem nachts wird dieser monumentale Sakralbau mit dunklem, klagemauerartigem Steinsockel und von innen her hell erleuchtetem gläsernen Aufbau als materialisierte Umsetzung des Ausspruchs "Es werde Licht" erscheinen. Dann strahlt gleich dem Licht der Tora - dem Licht göttlicher Lehre - der obere, in eine trigonale Tragwerksstruktur gefasste transluzente Glaskörper der Synagoge in die Nacht hinaus und erhellt die sie umgebende Dunkelheit wie ein funkelnder Quell der Hoffnung und der Zuversicht.

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