Amoklauf-Drohung:"Ich bin gedemütigt und gehänselt worden"

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1000 Polizisten waren verdeckt im Einsatz, um Schüler und Lehrer der Münchner Realschulen zu schützen: Ein 23-Jähriger hatte angekündigt, er werde Amok laufen. Mittwoch Abend wurde er gefasst. Der IT-Experte war besonders geschickt vorgegangen, um die Polizei zu täuschen. Offenbar war der Killerspiel-Fan auf ein Spiel aus - diesmal im reellen Leben.

Ruth Schneeberger

Er ist so ein Typ, wie sie der Polizei in letzter Zeit häufiger begegnen - und diese Begegnungen werden immer unerfreulicher: Wolfgang B. ist arbeitslos, perspektivlos, einsam und frustriert. Schon in jungen Jahren hat der Münchner seinen Job verloren, seine Beziehung scheiterte, er ging in Therapie. Der 23-Jährige lebt allein, hat kaum Freunde, wenig Kontakte - in die Kneipe geht er nie. Stundenweise arbeitet er in einem Telefonladen.

"Counter Strike" gehört zu den Spielen, mit denen Wolfgang B. sich gerne die Zeit vertrieb. (Foto: Foto: dpa)

Eins gibt es allerdings, auf das er stolz ist: seinen bestens ausgestatteten Computer. Der ist sogar so gut bestückt, dass er einen Großteil seiner Wohnungseinrichtung ausmacht. Seine freie Zeit also - und davon hat Wolfgang B. viel - verbringt er mit Baller- und Killer-Spielen.

Die jüngste Diskussion um die neuerlichen Amokläufe und Amoklauf-Drohungen an Schulen hat ihn geärgert: Immer seien die Killer-Spiele schuld an allem. Killer-Spieler (wie er sich selbst auch nennt) würden inzwischen mit Kinderschändern gleich gesetzt.

Sein "Lauf" werde blutig enden

Offenbar dachte Wolfgang B., er müsse in diese Diskussion eingreifen - und drohte selbst einen Amoklauf an. Und zwar per Mail an das Münchner Polizeipräsidium: Er werde einen "Lauf" durch eine Münchner Realschule veranstalten, und dieser Lauf werde blutig enden. Auch die Polizei werde ihn nicht aufhalten. Sein Motiv: Hass - weil er in der Schule jahrelang gehänselt worden sei.

Weil er sich als augebildeter IT-Fachmann mit der Materie Computer, Internet und Killerspiele bestens auskennt, konnte er die Polizei sechs Tage lang auf Trab halten - obwohl er keine einzige Waffe besitzt.

Per Wireless-Lan zapfte Wolfgang B. den Anschluss einer fremden Familie nahe seiner Arbeitsstätte an. Gab sich eine E-mail-Adresse, in deren Namen Robert Steinhäuser vorkam. Der 19-Jährige Steinhäuser hatte in einem Massaker an einer Schule in Erfurt 16 Menschen und sich selbst getötet.

Nichts also deutete darauf hin, dass Wolfgang B. ein gelangweilter Trittbrettfahrer sein könnte, wie ihn die Polizei in München erst vor zwei Wochen und gestern Nachmittag noch einen weiteren in Starnberg festgenommen hat. Von Wolfgang B. ging ein Risiko aus.

38 Schulleiter im Polizeipräsidium

Die Mail ging am Freitag Nachmittag ein. Die Medien wurden um Stillschweigen gebeten. Die Leiter aller 38 Realschulen in und um München wurden für Sonntag Abend ins Polizeipräsidium geladen, um die "umfangreichen Maßnahmen" zum Schutz der Kinder und Lehrer zu besprechen - und am Mittwoch noch einmal.

Schließlich hatte der Täter angedroht, er wolle ein Blutbad anrichten, weil er voller Hass auf die Welt sei. Sein Brief glich denen ernst zu nehmender Amokläufer. Die Abschiedsbriefe der echten Täter aus Erfurt und Emsdetten hatte er offenbar im Internet gelesen. Diesen ähnlich, schreib er eine Mail von der Länge einer DINA4-Seite in flüssigem, laut Aussagen des Polizei-Psychologen ansprechendem Deutsch.

Und er machte es der Polizei besonders schwer: Den Namen der Realschule nannte er nicht. Zwar nannte er das Gymnasium, das er besucht hatte, bevor er zur Realschule wechseln musste. Dort sei er "gehänselt und erniedrigt" worden. Doch er gab einen falschen Schul-Namen an.

Für seinen "Lauf" werde er die Realschule wählen, an der er sich besonders gut auskenne, hatte er angekündigt. "Lauf" werden auch in Killer-Spielen die Spieldurchläufe genannt. Einige falsche Fährten hatte der Gesuchte noch für die Polizei parat - offenbar war er auf ein Spielchen aus, diesmal im reellen Leben.

1000 Beamte im Einsatz, 1 Million Euro Kosten

Für die Schüler, Lehrer und Eltern der 38 Münchner Realschulen war das ganze kein Spaß: Zwar hat die Polizei versucht, ihre Beamten möglichst verdeckt zu postieren - an einer Schule jedoch fielen sie auf. "Wir mussten aufpassen, dass keine Hysterie ausbricht", so der Ermittlungsführer Peter Breitner vom Dezernat 13. Bis zu 1000 Polizeibeamte waren zeitweise im Einsatz.

Am Mittwoch Abend um 18.30 Uhr schließlich war der Spuk vorbei: Als die Polizei die Wohnung des Gesuchten stürmte, saß Wolfgang B. gerade am PC und ging seiner Lieblinsgbeschäftigung nach: Killer-Spiele spielen.

Es wird dies sein teuerstes Spiel gewesen sein: Laut Oberstaatsanwalt August Stern drohen ihm bis zu drei Jahre Haft. Außerdem hat der Einsatz die Polizei - und damit den Steuerzahler - geschätzte 1 Million Euro gekostet. "Wir werden versuchen, uns das zurück zu holen", so Polizeipräsident Wilhelm Schmidbauer.

Der zweite Trittbrettfahrer ging der Polizei ebenfalls am Mittwoch ins Netz, und zwar in Starnberg. Der 36-jährige Techniker aus München-Solln hatte sich am Samstag in den Chatroom eines Radiosenders eingeloggt und ebenfalls einen Amoklauf angedroht. Auch er hatte keine Vorbereitungen für einen echten Amoklauf getroffen.

Ihn konnten die Beamten - im Gegensatz zu Wolfgang B. - schnell als Trittbrettfahrer enttarnen und an seiner Arbeitsstelle fest nehmen. Dies ist der dritte Trittbrettfahrer innerhalb von zwei Wochen in München.

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