Allianz-Arena, Teil 1:Raumschiff vor der Landung

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Die Arena von Fröttmaning: Architekten-Traum, Marketing-Tempel, Logen-Palast - und bald wird dort auch Fußball gespielt.

Von Arno Makowsky

Rot oder blau soll sie schon bald leuchten, die Arena. Aber, ehrlich: In der Abendsonne, ganz ohne künstliches Licht, sieht sie vielleicht noch schöner aus.

Weiß, rot, blau, rot-blau, rot-weiß, blau-weiß - die Hülle der Allianz-Arena strahlt in vielen Farbkombinationen. (Foto: Foto: Allianz-Arena)

Man muss nur ein wenig den gegenüberliegenden Schuttberg hinaufspazieren, wo die Wege frisch angelegt sind und die Wiesen und Bäume im zarten Aprilgrün strahlen - schon bietet sich ein Anblick, der auch architektonische Laien geradezu umhaut: Das riesige Bauwerk, 45 Meter hoch und umhüllt von Tausenden milchigweißer Waben, scheint über dem Boden zu schweben; der Koloss wirkt beinahe leicht, was unbegreiflich ist angesichts der Massen von Beton und Stahl, die in ihm stecken.

Vielleicht ist das einer der Momente, von denen Architekten träumen, wenn sie über ihren Plänen sitzen und für einen kurzen Moment spüren wollen, wie ihr Projekt irgendwann einmal aussehen wird.

Gefühlsausbruch eines Machers

Moment mal - sind wir hier im Lyrik-Kabinett oder auf einer Stadionbaustelle? In der Allianz-Arena finden Fußballspiele statt und keine hehren Kunstbetrachtungen. Andererseits: Hatte nicht auch Bernd Rauch, der Geschäftsführer der Stadion GmbH, in unserem Gespräch kurz die technischen Details beiseite gelassen und ungebremst zu schwärmen begonnen?

Dieses Bauwerk, sagte er, "das ist für mich so beeindruckend, wie wenn ich den Starnberger See anschaue. Zu jeder Tageszeit wirkt es anders. Die Dynamik, der Lichteinfall..."

Für einen wie Bernd Rauch ist das ein ungewöhnlicher Gefühlsausbruch, der für einen Augenblick seinen Redefluss bremst. Der 61-Jährige ist so dynamisch, dass es ihn kaum auf dem Stuhl hält, während er in seinem lichtdurchfluteten Büro mitten in der Arena über "Eventsysteme" und "Markenwelten" doziert, über die tollen Logen und super Fan-Restaurants.

Schließlich drängt die Zeit: Am 18. Mai übergibt der Generalübernehmer Alpine das Stadion an den Bauherrn, die Vereine FC Bayern und 1860 München. Am Tag darauf findet schon die Generalprobe statt: ein Spiel zwischen den Traditionsmannschaften der Vereine mit etwa 30.000 Zuschauern.

"Noch ein bisschen zusammenfegen, und fertig"

Eigentlich, so heißt es bei der Stadion GmbH, könnte man schon morgen mit dem Spielbetrieb beginnen. "Noch ein bisschen zusammenfegen, und fertig." Wer durch den engen, hydraulisch hochfahrbaren Tunnel aufs Spielfeld geht, also jenen Weg nimmt, über den später die Spieler auf ihren Arbeitsplatz gelangen werden, den überkommt die Ehrfurcht:

Wie die drei Ränge steil über dem Rasen aufragen, wie das Rund des Daches eine Kesselatmosphäre erzeugt, die kalte Ästhetik des Betons - die Leichtigkeit der äußeren Erscheinung weicht hier einer gewissen Brutalität.

Die Funktion dieses Gebäudes wird mit einem Blick, mit einem Erschauern klar: Das ist eine Kampfarena. Es braucht nicht viel Phantasie, um sich die tobenden Zuschauermassen dazu zu denken, die La-Ola-Wellen und den rauschenden Torjubel.

Logen für die gehobene Fan-Gesellschaft

Wir laufen die Kaskadentreppe nach oben und gelangen in den Bereich der etwas gehobenen Fan-Gesellschaft, zu den 106 Logen, die inzwischen fertig möbliert sind. Nur der äußere Gang vor den Luxuskabinetten muss noch gestrichen werden - in Gold, versteht sich.

Auch im Inneren dominiert erlesene Eleganz. Jeder Mieter, die meisten von ihnen sind renommierte Firmen, hat seine Loge selbst eingerichtet: Parkettboden oder grellbunter Teppich, Stahlsessel oder Ledercouch, Konferenztisch oder lässige Theke - und natürlich alles im teuren Designerlook.

Eine Loge ist als urige Bauernstube gestaltet. Obligatorisch der riesige Fernsehbildschirm, damit die Besucher nicht hinausgehen müssen, um das Spiel zu verfolgen.

Eine Loge kostet pro Saison zwischen 90.000 und 240.000 Euro; eine Investition, die sich für die Mieter sicher auszahlt: Wer in der Allianz-Arena residiert, wer seine Geschäftspartner hier einladen und die Vorzüge seiner Firma nahebringen kann, der macht schon rein imagemäßig etwas her.

Rot wird das neue WM-Stadion am Abend der Eröffnung leuchten. (Foto: Foto: Allianz-Arena)

Fußball, Autos, Vips: Für jeden was dabei

Das sieht auch Peter Kerspe so, der als Geschäftsführer für die Vermarktung des Stadions zuständig ist. Kerspe trägt Jeans, blaues Jacket und eine rot-weiße Krawatte. Er sagt: "München ist ein Asset! Zwei Clubs, das ist ein Asset!" Asset ist Marketingdeutsch und bedeutet so etwas wie Vorzug oder Gewinn. Und darüber reden die beiden Stadion-Macher Rauch und Kerspe besonders gern.

Die "Markenwelt" zum Beispiel, wo sich Unternehmen wie Audi oder Adidas präsentieren können - "das ist toll, das wird der Hammer", sagt Rauch. "Stellen Sie sich das mal vor: Da kommt eine Familie ins Stadion. Der Sohn will Fußball sehen, der Vater interessiert sich für den neuen Audi, und die Frau schaut People auf der Tribüne."

"Ein Supertyp. Das wird geil!"

Im Moment, sagt Rauch, ist hier ja die Hölle los, alle paar Minuten ruft ein anderer Journalist an, und alle wollen sie die neue Arena sehen, gerade war einer vom Playboy dran. "Der wollte Fotos machen!" Gelächter.

Die Bürotüre geht auf, der für die "Markenwelt" zuständige Architekt kommt herein, lässiger Anzug, Hemd über der Hose, zur Begrüßung klingelt sein Handy.

Rauch: "Das dauert mir alles zu lang! Ihr müsst schneller sein!" Architekt: "Okay, schneller." Rauch: "Machen Sie mehr Druck, was ihr jetzt rausholt, habt ihr nachher, wenn's eng wird." Architekt: "Gut." Rauch (zum Reporter): "Ein Supertyp. Das wird geil!"

Der Fahnder als Fan

Die Begeisterung, die gespannte Erwartung bei der gesamten Stadion-Mannschaft ist mit Händen zu greifen. Der Ingenieur, dessen Firma für die Mechanik der Sonnensegel zuständig ist, berichtet stolz von Ventilsteuerungen, Kompaktaggregaten und anderen wichtigen Details, unser Führer durchs Stadion zeigt ehrfürchtig auf die Videowand: "Die ist so groß wie eine Dreizimmerwohnung."

Sogar die Tatsache, dass an diesem Nachmittag mehrere Zollbeamte nach illegalen Baustellenarbeitern fahnden, macht niemanden nervös. Vor allem dann nicht mehr, als zwei der Zollfahnder ihre Jacketts ausziehen und darunter rote und blaue Fanjacken zum Vorschein kommen - fürs Erinnerungsfoto.

Stille im alten Stadion

Ein paar Wochen noch, dann geht's los, dann kommt Leben in das Raumschiff von Fröttmaning. Dann strömen die Fans vom künstlerisch wertvollen U-Bahnhof herüber und nehmen ihr neues Stadion in Besitz. Die Allianz-Arena wird rot strahlen an diesem Abend, so spektakulär, dass die Autofahrer auf der Autobahn aufpassen müssen, dass sie keinen Unfall bauen.

Vielleicht stehen an diesem Abend auch ein paar Leute auf dem Schuttberg gegenüber, von dem aus man nicht nur das neue Stadion gut sieht. Wer nach Süden blickt, über Felder und Kartoffeläcker, der erkennt auch das BMW-Hochhaus, den Olympiaturm und daneben das alte Stadion.

Und dort wird es an diesem Abend ganz still sein.

© SZ vom 30.4.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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