Allianz-Arena:Montage mit Falldämpfer

Lesezeit: 3 min

In 51 Metern Höhe basteln Industriekletterer die Luftkissen-Hülle des neuen Stadions - jeder Fehltritt kann tödlich sein.

Von Rudi Kanamüller

Ralf Sorgatz, 39, hat einen Arbeitsplatz, von dem andere träumen: freier Blick auf die Berge und reichlich frische Luft. Doch genießen kann er ihn in den seltensten Fällen. Der gelernte Dachdecker ist seit vier Jahren Industriekletterer. Sein derzeitiger Arbeitsplatz: irgendwo in den Gestängen des Stahlgerüstes der neuen Allianz-Arena in Fröttmaning.

Bei der Montage des Stadiondachs geht nichts ohne Handarbeit - in luftiger Höhe (Foto: Foto: dpa)

Dort, wo die Technik versagt und nur der kletternde Handwerker rankommt - wenn ihm nicht gerade Wind, Regen und Gewitter einen Strich durch die Rechnung machen. Dann kann er gleich heimfahren. Bei Regen wird Sorgatz' Arbeitsplatz nicht nur ungemütlich, sondern auch gefährlich. Und wer lässt sich schon gern von seinem Arbeitsplatz fortspülen?

Aber auch bei Sonnenschein gilt in 51 Metern Höhe über dem Stadionrund: Jeder Handgriff muss sitzen. "Man muss höllisch aufpassen, wo man hintappt", sagt er. Für Sorgatz heißt das im Schnitt zehn Stunden am Tag volle Konzentration. "Safety first" lautet denn auch die Devise: "Wenn du zehn Stunden oben auf dem Dach werkelst, dann lässt irgendwann die Konzentration nach." Und Fehltritte darf man sich nicht erlauben, sagt Bauleiter Mike Maile von der Firma Membranteam. Dieses Unternehmen ist verantwortlich für die Montage der Stadionhülle.

Groß, blond, durchtrainiert

So genannte Industriekletterer hangeln sich mit traumwandlerischer Sicherheit durch das Gewirr der Stahlträger des Ovals - behende wie Spinnen. Zwischen den Stahlträgern sind blaue Fangnetze vertaut, die praktische Lebensversicherung der Montagearbeiter und Industriekletterer.

Darüber, wie ein Trampolin, die Arbeitsplattform für die Höhenmonteure. Und egal, was zu tun ist: Die "PSA" , die persönliche Schutzausrüstung, hat jeder Arbeiter dabei. Immer. Grundsätzlich. Die "PSA", das ist ein Kletter-Brustgurt mit falldämpfender Sicherung - für den Fall der Fälle. Denn ein ungebremster Sturz würde entweder im Rollstuhl, oder im schlimmsten Fall mit dem Tod enden.

"Freihändiges Rumturnen dort oben" findet nicht statt, sagt Maile, Typ Freeclimber: groß, blond, durchtrainiert, Pferdeschwanz, Ohrringe. Dessen Truppe ist damit beschäftigt, 2.800 rautenförmige, transparente und mit Luft gefüllte Kissenelemente auf den verzinkten Stahlträgern zu montieren. Das habe vor ihnen - in diesem Umfang - noch niemand gemacht. Maile zieht einen sportlichen Vergleich: "Das ist weltmeisterlich."

Etliche der Kunststoff-Kissen werden sich später mit Hub öffnen lassen. Sie sollen die Zuschauer vor Regen schützen und garantieren, dass man unter der Plastikhülle nicht vor lauter Hitze umkommt. Und wenn Mike Mailes Truppe ihren Job gegen Ende des Jahres erledigt haben wird, dann hat sie eine Fläche von 62.000 Quadratmetern abgedeckt. Die Industriekletterer werden in dieser Zeit 10.000 Netzmontagehaken zwischen Stahlträgern montiert, insgesamt 10.000 Quadratmeter Netzfläche verzurrt und 1.500 Meter Sicherungsseil verlegt haben.

Die Männer, die der Arena ihre Kunststoff-Hülle verpassen, arbeiten generalstabsmäßig: 15 Industriekletterer, acht Logistiker, drei Montagearbeiter - und Petra Englmann, die auf der Baustelle Männern beibringt, wie man Kunststoff verschweißt. Das Dach selbst wiederum ist aufgeteilt in 29 Ringe, und in jeden Ring passen 100 Luftkissen.

Nicht jeder allerdings, der den Drang verspürt, sprichwörtlich hoch hinaus zu wollen, ist für den Job in schwindelnder Höhe geeignet. "Höhenarbeiter", wie die beruflichen Klettermaxe im Behördendeutsch offiziell bezeichnet werden, müssen mindestens 18 Jahre alt sein, eine Ersthelferausbildung absolviert und einen arbeitsmedizinischen Gesundheitscheck bestanden haben. Was nichts anderes heißt, als dass sie fit und schwindelfrei sein müssen. Erst dann können sie zur "Ausbildung zum Höhenarbeiter Level 1" zugelassen werden. Und dort heißt es büffeln: Material-, Seil- und Knotenkunde, Sicherungstheorie. Und in der Praxis üben, wie man sich selbst sichert, abseilt und im Notfall Kollegen rettet.

Den sicheren Boden des Stadions verlässt man auf der Ebene "E 7" in 34 Metern Höhe. Es ist die oberste betonierte Fläche. Egal ob Bauarbeiter oder Manager: Jeder, der von "E7" aus nach oben will, erhält eine Sicherheitseinweisung, die er unterschreiben muss. Vom Treppenturm aus trennen ihn nur 15 Meter vom Dach, wo der Montage- und Sicherheitsbeauftragte Ralf Sorgatz darauf schaut, dass alles beachtet wird, was Sicherheit garantiert. Denn hier oben beim Einstieg auf das Dach gilt, wie im Hochgebirge, eine alte Bergsteigerregel: Nie allein in die Wand, nie allein aufs Dach.

© SZ vom 4.6.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: