Allianz Arena:Ein großes Rad im Getriebe

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Bernd Rauch ist Geschäftsführer der Stadion GmbH - ein umtriebiger Manager, ohne den in Fröttmaning nichts laufen würde.

Von Jan Bielicki

Bernd Rauchs Tischplatte muss einstecken können. Ganz neu schwingt sie sich in eleganter Rundung durch den Raum, doch das hilft ihr wenig. Krachend geht eine rechte Handkante auf den Schreibtisch nieder, einmal, zweimal, bevor zur Abwechslung die linke Hand flach auf das hellgraue Laminat patscht oder eine Faust das Möbel malträtiert.

"Es ist ein besonderes Gefühl, Teil dieses Bauwerks zu sein". (Foto: Foto: Violetta Simon)

Diese Hände sind immer in Bewegung. Zeigefinger stechen in den Raum, Handkanten zerschneiden die Luft, und wenn die Rechte eine andere Hand schüttelt, kann die Linke nicht untätig bleiben und klappst den zu Begrüßenden kräftig auf der Schulter.

Es sind nicht nur die Hände. Der ganze Mann kann kaum still sitzen, beugt sich vor, lehnt sich zurück, springt auf und eilt durch sein bis auf die Tischplatte so gut wie leeres Büro.

"Ist das nicht grässlich?", ruft Rauch und seine Hände weisen anklagend auf das Panorama, das sich vor seinem Fenster, sieben Stockwerke über Baustellengrund, durch die transparente Außenhaut des neuen Stadions bietet.

Unten verlieren sich die Bauten der Fröttmaninger Müllsammelstelle und beleidigen sichtlich seinen Blick: "Das kann so nicht bleiben", erzürnt er sich, "da muss was Schönes hin, gute Architektur, ein Hotel wär' doch toll!"

"Eine unglaubliche Hektik"

Es geht dem Geschäftsführer der München Stadion GmbH nicht um die persönliche Aussicht von seinem Arbeitsplatz hoch im reifenförmigen Rund der Fröttmaninger Arena. Dort ist er erst vor wenigen Wochen eingezogen, schon Ende Juni wird er wieder ausziehen aus diesem Büro, das mit seinen leeren Regalen ohnehin sehr unbehaust wirkt.

Dann ist sein Job getan. Das neue Stadion wird fertig sein, und Rauchs Mitmanager Peter Kerspe wird alleine für die Verwaltung des 340-Millionen-Kolosses verantwortlich zeichnen.

Aber jetzt wirbelt noch Rauch, eilt von Besprechung zu Besprechung, klemmt sich den Telefonhörer unters Ohr, setzt sich den weißen Bauhelm auf und hetzt hinunter auf eine der Baustellen, die es noch gibt in der Arena.

"Es ist zum Ende der Bauphase immer eine unglaubliche Hektik", sagt er - und lässt keinen Zweifel daran, dass er das Getriebe genießt und stolz ist auf das, was ihn treibt: "Es ist schon ein besonderes Gefühl, ein Teil dieses einmaligen Bauwerks zu sein."

In der Tat: Er ist ein Teil dieser Arena, und zwar ein deutlich wichtigerer, als es seine gerade gut einjährige Geschäftsführeramtszeit ausdrückt. Ohne Rauch hätte der Bau der Arena nicht geklappt, sagen Beteiligte.

Der 62-jährige Architekt war von Beginn an die zentrale Figur, bei der die unzähligen Fäden zusammenliefen, aus denen ein Projekt dieser Größenordnung erst entsteht.

Das begann bereits 1992, als Fritz Scherer, damals Präsident des FC Bayern, Rauch in den Verwaltungsrat des Fußballclubs lockte. Grund der Einladung: Die Bayern hatten vor, ein neues Stadion zu bauen, und das Wissen eines Experten war gefragt.

Und die Ingenieurgemeinschaft Rauch und Wiese, kurz I'RW, hatte diese Erfahrung in der Projektsteuerung millionen-, ja milliardenschwerer Bauvorhaben. Die Messen in München, Leipzig und Stuttgart, eine Autofabrik in Sachsen, ein Ministerium in Berlin und ein paar Dutzend Kliniken entstanden unter der Lenkung von Rauch, seinem Partner Peter Wiese und ihren rund 100 Mitarbeitern.

Weg mit den Krücken

Und auch zu Stadien hatte der Mann vom Bau eine besondere Beziehung, seit er vor 33 Jahren auf dem Schuttberg des Oberwiesenfeldes stand und auf die Baustelle des Olympiageländes schaute.

Auf Krücken ist er hinaufgehumpelt, weil er bei der Abfahrt von der Lagalp beim schweizerischen Pontresina wieder einmal viel zu schnell unterwegs gewesen war. "Bei diesem tollen Bau muss ich dabei sein", habe er sich da gedacht, "was sollte ich als Architekt sonst einmal meinen Kindern erzählen?"

Er humpelte an einer Tafel vorbei, die Posten als Bauleiter anbot, ging weiter ins Büro - und war eigentlich der Mann, den das Ingenieurbüro suchte: einer, der im väterlichen Betrieb in Hessen Schreiner gelernt, dann auf der Staatsbauschule Ingenieurstitel und Abitur erworben und schließlich in München Architektur studiert hatte.

Leider kam der junge Mann auf Krücken - für einen Job auf der Baustelle keine gute Voraussetzung: "Da", erzählt Rauch und seine Hände fliegen in die Höhe, "habe ich die Krücken einfach weggeworfen".

Suche nach neuem Stadion

Seine Chance, noch einmal beim Bau eines spektakulären Stadions mitzuhelfen, kam im Dezember 2000. Als sich im Stadtrat völlig überraschend der sicher geglaubte Umbau des Olympiastadions als unmöglich erwies, bot Rauch der Führung des FC Bayern an, dem Verein bei der Suche nach einem neuen Standort für die Arena zu vertreten - ehrenamtlich als so genannter Sonderbevollmächtigter der beiden Vereine FC Bayern und TSV 1860.

Stadtbaurätin Christiane Thalgott empfahl ihm, den Frankfurter Architekten Albert Speer zu beauftragen. Von da an gruppierte Rauch einen Lenkungskreis um sich, der das Projekt Stadion vorantreiben sollte, den Standort finden, die planungsrechtlichen Voraussetzungen schaffen, OB Christian Ude überzeugen und die Stadträte einbinden.

Vier Dinge braucht ein erfolgreicher Projektleiter, sagt Rauch durchaus unbescheiden: "Hartnäckigkeit, Klarheit, Fairness, Fachkunde" - und dazu Zeit. Die hatte er.

"Unabhängig und nicht manipulierbar"

Um nach ihrem Ausscheiden den Fortbestand ihrer Firma und die Arbeitsplätze ihrer Mitarbeiter zu sichern, hatten er und sein Partner Wiese das Unternehmen gerade an einen multinationalen Konzern aus England verkauft - für einen hohen zweistelligen Millionenbetrag. Das Geld - "hart erarbeitet", sagt Rauch - gebe ihm nun "das Privileg, unabhängig und nicht manipulierbar zu sein".

Also kümmerte er sich um den Sport, von dem er fasziniert ist, seit er mit neun Jahren beim heimischen Ballspielclub Sinn begann, Fußball zu spielen. Fußball, Tennis, Turnen, Radfahren, Skifahren, Segeln, Skeleton - Rauch treibt Amateursport.

Und er organisiert Amateursport, als Vizepräsident des FC Bayern und zweiter Mann im Vorstand der Deutschen Sporthilfe. Im Auftrag von Bundesinnenminister Otto Schily machte er geräuschlos Ordnung in dem skandalgeschüttelten Komitee, das - ohne Erfolg - die Olympischen Spiele nach Leipzig holen wollte.

"Nicht ausgereift und technisch nicht machbar"

Auch der Bau der Münchner Arena stand auf der Kippe - und das lange nachdem Rauch und seine Mitstreiter die größten voraussehbaren Hindernisse ausgeräumt hatten. Sie hatten einen Standort in Fröttmaning gefunden. Sie hatten die Stadtpolitik gewonnen und auch in einer Volksabstimmung die große Mehrheit der Münchner, was ja, so Rauch, "so keinesfalls abzusehen war".

Sie hatten über ein so genanntes Verhandlungsverfahren acht der bekanntesten Architektenteams der Welt dazu gebracht, ohne Bezahlung ihre Entwürfe für die Münchner Arena vorzulegen. Das Ergebnis dieses Verfahrens macht Rauch noch heute stolz: "Das war jene einzigartige Qualität, die wir den Münchnern versprochen haben."

Obwohl der spätere Siegerentwurf der Schweizer Architekten Jacques Herzog und Pierre de Meuron anfangs "noch überhaupt nicht ausgereift und technisch so nicht machbar" erschien, habe er "gespürt, dass wir hier etwas ganz Großartiges schaffen".

"Im tiefsten Maße enttäuscht"

Doch dann kam der 9. März 2003. Rauch war gerade auf dem Weg zum Flughafen, um mit dem FC Bayern zu einem Fußballspiel nach Madrid zu fliegen, als bei ihm zuhause in Berg am Starnberger See ein Staatsanwalt und ein paar Polizisten klingelten.

Auch in seinem Haus suchten die Ermittler Belege für ihren Verdacht, dass sich Vater und Sohn Karl-Heinz Wildmoser von der Stadionbaufirma Alpine bestechen lassen haben sollen.

"Menschlich", sagt Rauch, hat er die Affäre, die zum Prozess gegen Wildmoser junior führte, "bis heute nicht ganz gepackt". Immer noch sei er "im tiefsten Maße enttäuscht", dass Leute, mit denen er "so gut und vertrauensvoll gearbeitet" habe, plötzlich das Projekt Stadion gefährdeten.

"Du musst uns helfen"

"In Madrid bin ich mehrmals schweißgebadet aufgewacht", erzählt er. Es gab "Versuche zu begreifen, was passiert ist", ein paar Stunden später die Erkenntnis, dass "alle erwarten, dass die Sache schnell gelöst werden muss" - und dass nur einer das kann: "Du musst uns helfen", habe ihn der Bayern-Vorstand bestürmt.

Trotz "völlig anderer Lebensplanung" saß Rauch zwei Tage später im Containerbüro am Rande des Stadion-Bauplatzes und hat "sofort gearbeitet, ohne Vertrag".

Wenig später hatte er seine - diesmal bezahlte - Stelle als Sprecher der neuen Geschäftsführung der Stadion GmbH, dazu nach langen Gesprächen die Gewissheit, den Bau mit der ja unter Bestechungsverdacht stehenden Firma Alpine zum Abschluss bringen zu können.

"Wir konnten einfach die Super-Mitarbeiter hier nicht im Stich lassen", sagt Rauch, und natürlich "den Glücksfall dieser ganz großen Architektur". Stolz auf Mannschaft und Werk ist er allemal: "Wir haben alle einen guten Job gemacht."

Abschalten auf 4200 Höhenmetern

Nur einen Tag dieser vergangenen zwölf Monate hat er sich frei genommen. An seinem Geburtstag im April ließ ihn seine Frau an den Montblanc fliegen.

Auf Skiern sind sie die legendäre Tour durchs Vallée Blanche hinunter gefahren: "Das war fantastisch", schwärmt Rauch und seine Hände zeichnen lebhaft den Verlauf des Gletschers, "auf 4200 Höhenmetern kann ich alles abschalten" - und muss dabei offensichtlich trotzdem immer in Bewegung bleiben.

Den Engadiner Skimarathon etwa hat der Bauherr "auch schon zehn Mal gemacht".

© SZ vom 11.5.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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