Alkohol-Konsum:Die Maß-Frage

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Alkohol ist nur in sehr kleinen Mengen gesund. Warum der Werbespruch "Täglich ein Bier, und Sie leben länger" doch keine Gültigkeit besitzt.

Klaus Koch

Die Bierbrauer haben etwas länger gebraucht. Doch in letzter Zeit versucht auch die deutsche Brauwirtschaft, dem rückläufigen Absatz ihrer Produkte mit medizinischen Argumenten zu begegnen. "Täglich ein Bier, und Sie leben länger", versprachen die Öffentlichkeitsarbeiter für Hopfen und Malz bereits vor dem letzten Oktoberfest.

(Foto: Foto: AP)

Abgeschaut haben sich die Brauer die Werbebotschaft von den Winzern. Denen hatte das "französische Paradox" einige Jahre lang Rekordumsätze beschert, nachdem Studien angedeutet hatten, dass Rotwein ein Grund sein könnte, warum Franzosen trotz fetter Küche im Durchschnitt später an Herzinfarkten sterben als die Deutschen.

Doch das Vertrauen in "Polyphenole" und andere rare Chemikalien in Wein und Bier hat mittlerweile stark abgenommen. "Die behaupteten Wirkungen sind letztlich unbewiesen", sagt Manfred Singer vom Universitätsklinikum Mannheim. Neuere Studien gehen davon aus, dass ein einziger Bestandteil in Wein, Bier und Hochprozentigem die gesundheitliche Wirkung dominiert: Alkohol.

Dass Brauer und Winzer nicht gern mit der Droge Alkohol werben, liegt daran, dass deren Gesundheitsbilanz insgesamt kaum positiv ausfällt, wenn man sie vollständig anschaut. Wer jahrelang zuviel Alkohol trinkt, schadet fast jedem Organ seines Körpers.

Dass Alkohol dennoch nicht so leicht als gesundheitsschädigend gebrandmarkt werden kann wie die andere Volksdroge Nikotin, liegt an einer besonderen Wirkung auf Herz und Kreislauf. Mehrere Studien zeigen, dass moderate Trinker ein etwas niedrigeres Infarkt- und Schlaganfallrisiko haben als Abstinenzler.

Die Deutschen gehören zu den Spitzentrinkern

Das gilt freilich nur für kleine Alkoholmengen: "Wir sehen die tolerable Schwelle für Männer bei etwa 20 Gramm pro Tag, für Frauen bei zehn Gramm", sagt Gert Mensink vom Robert-Koch-Institut (RKI) in Berlin. Eine Maß Bier enthält jedoch bereits 40 bis 50 Gramm - nach einem halben Liter ist also bereits ein Punkt erreicht, wo Abstinenz doch wieder die gesündere Wahl wäre.

Ein Genuss jenseits dieser Schwelle ist fast die Regel: Mit einem Pro-Kopf-Konsum von 10,5 Litern reinen Alkohols pro Jahr gehören die Deutschen zu den Spitzentrinkern in Europa - auf Platz fünf, gleich hinter Frankreich.

Nach Daten des RKI trinken etwa ein Drittel der Männer und ein Sechstel der Frauen täglich mehr Alkohol, als für die Gesundheit noch gut wäre. Bei 10,6 Millionen Männern und Frauen ist es sogar das Doppelte der "tolerablen" Dosis. 1,6 Millionen von ihnen sind Alkoholiker.

Der Konsum wirkt sich auf zahlreiche Krankheiten aus, bei denen der Zusammenhang klar ist: "Je mehr Alkohol, desto höher das Risiko" gilt für Leber- und Hirnschäden sowie Gicht, aber auch für seltene Krebsarten in Mund und Speiseröhre - besonders wenn man sich zum Bier eine Zigarette anzündet. Die Kosten alkoholbedingter Erkrankungen schätzt das RKI pro Jahr auf 40 Milliarden Euro; etwa 40.000 Deutsche jährlich sterben vorzeitig daran.

Allerdings müssen solche Berechnungen mit Vorsicht interpretiert werden. Denn die Schlussfolgerungen zu Vorteilen und Risiken des Alkohols stammen aus Untersuchungen, in denen Menschen mit verschiedenen Trinkgewohnheiten verglichen wurden.

Im Bierzelt gleich eine Monatsration einverleibt

Das Problem: Der Umgang mit Alkohol ist oft mit anderen Unterschieden in der Lebensweise verbunden. Wer seine Wochenration auf ein Glas Wein pro Tag zum Essen verteilt, geht auch mit anderen Gesundheitsfaktoren wie Ernährung, Rauchen und Sport anders um als jemand, der als Wochenendtrinker in der Kneipe versackt - oder sich im Bierzelt gleich die Monatsration einverleibt. Diese Unterschiede sind nicht immer klar von der Wirkung des Alkohols zu trennen.

Zumindest rechtfertige die Bilanz es nicht, einer ganzen Bevölkerung täglich Alkohol zu empfehlen, sagt Ulrich Keil von der Universität Münster. "Die Verringerung des Herz-Kreislauf-Risikos spielt nur für Gruppen eine Rolle, die ein spürbares Risiko haben." Das seien Männer etwa ab 55 Jahren und Frauen ab 65. Bis zu diesem Alter dominieren für den Rest der Bevölkerung die toxischen Effekte.

Aufschlussreich ist da auch die deutsche Krankenhausstatistik der Männer: Im Jahr 2002 waren chronische Herzkrankheiten der häufigste Grund für Krankenhauseinweisungen, fast 300.000 Männer waren betroffen. Doch schon der Blick auf Platz zwei der Statistik zeigt, dass diese Bilanz nicht als Argument dafür taugt, Männer zum regelmäßigen Wein- oder Bierkonsum aufzufordern: 216.000 Männer wurden mit Alkoholvergiftung eingeliefert.

Vollends ins Negative dreht sich die Bilanz durch Dinge, die passieren, weil Alkohol Konzentrations- und Reaktionsfähigkeit, Wahrnehmung und Urteilskraft beeinträchtigt. Das macht zwar manchen zuerst heiterer, bei verstärktem Konsum werden Betrunkene aber zu einem Gesundheitsrisiko für sich und andere.

Tragischstes Beispiel dafür sind die Verkehrsunfälle: Im Jahr 2003 starben von den 6618 Straßenverkehrstoten 814 bei Alkoholunfällen. In diese Bilanz gehöre auch, dass ein Drittel der Straftaten unter Alkoholeinfluss passiere, sagt Singer: "Ich bin überzeugt, dass eine Nation ohne Alkohol gesundheitlich besser dran wäre."

© SZ vom 21.9.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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