Aids in München:Die vergessene Gefahr

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1820 Bürger sind erkrankt und jedes Jahr infizieren sich 200 weitere. Die Münchner Aids-Hilfe stellt eine wachsende Bereitschaft fest, Risiko-Kontakte einzugehen.

(SZ vom 1.12.2003) - Heute ist Welt-Aids-Tag, doch nur wenige Menschen interessieren sich noch für dieses Thema. "Die Angst vor Aids ist verschwunden", sagt Michael Tappe von der Münchner Aids-Hilfe. Und er warnt: "So steigt die Bereitschaft, Risiko-Kontakte einzugehen."

Noch immer muss in München mit rund 200 Neuinfektionen pro Jahr gerechnet werden, stellt das städtische Gesundheitsreferats fest. Nach Angaben des Berliner Robert-Koch-Instituts waren im Juni dieses Jahres 1820 Münchner an Aids erkrankt.

Den einzigen Weg gegen Neuansteckung sieht Tappe in einer wirksamen Präventionsarbeit. Noch immer sind homosexuelle Männer besonders gefährdet. Zwar sind nicht mehr wie in den 90er Jahren zwei Drittel aller Erkrankten homosexuell. Heute liegt ihr Anteil etwa bei 50 Prozent. "Doch die Bereitschaft zu ungeschütztem Geschlechtsverkehr und häufig wechselnden Partnern steigt hier wieder."

Formbrief ohne Betreuung

Hingegen ist die Zahl der Drogenabhängigen, die an Aids erkrankt sind, auf zehn Prozent gesunken. 24 Prozent der Erkrankten sind Menschen, die in München leben und aus Afrika stammen. Die Asylbewerber werden bei der Einreise nach Deutschland untersucht, "und dabei wissen die meisten nicht einmal, dass sie auch auf eine HIV-Infektion getestet werden", sagt Tappe.

Ist das Ergebnis positiv, bekommen sie einen Formbrief - ohne Betreuung, allenfalls mit dem Hinweis auf einen Arzttermin. Die Aids-Hilfe hat deshalb speziell für Migranten eine CD entwickelt, die über die Krankheit, ihre Risiken und Behandlungsmöglichkeiten informiert.

Reiseapotheke mit Kondomen

Gestiegen ist vor allem das Risiko für Heterosexuelle: Etwa 16 Prozent derer, die sich mit dem Virus anstecken, gehören zu dieser Gruppe. Tendenz steigend - das hat eine Untersuchung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung ergeben. Eine Ursache der hohen Ansteckungsrate bei Heterosexuellen sieht Tappe im Sex-Tourismus. "Viele verdrängen die Gefahr ganz bewusst. Heterosexuelle Menschen sind für die Aids-Hilfe bislang schwer zu erreichen."

Nun plant der Verein eine Aktion, für die man die Reisebüros zur Mitarbeit gewinnen will: Eine Reiseapotheke soll den Reisenden überreicht werden, die neben Durchfallmittel auch Kondome enthält. Viele Touristen würden gar nicht mit sexuellen Absichten in den Urlaub fahren - deshalb blieben Kondome oft zu Hause. Oft schrecke auch die Vorstellung ab, dass bei einer Gepäckkontrolle Präservative im Koffer gefunden werden.

Viel Werbung für den Aids-Test nötig

Um homosexuelle Männer zu erreichen, hat die Aids-Hilfe ehrenamtliche Mitarbeiter, die in ihren Stammkneipen in der Schwulenszene als Ansprechpartner arbeiten. Es gibt Veranstaltungen, etwa kleine Show-Auftritte und Theaterstücke, in denen erklärt wird, was Männer auch bei ungeschütztem Geschlechtsverkehr beachten können.

Vor allem für den Aids-Test müssen die Berater viel Werbung machen. Viele Männer, sagt Tappe, "lassen sich bewusst nicht testen, um sich in ihrem Sexualleben nicht einschränken zu müssen".

Steriles Spritzbesteck

Die größten Erfolge bei der Präventionsarbeit hat die Aids-Hilfe bei den Drogenabhängigen. Der Verein verteilt steriles Spritzbesteck und Kondome, sammelt gebrauchte Spritzen wieder ein. Das Programm laufe auch deshalb so gut, weil man auf die Hilfe ehemaliger Drogenabhängiger zurückgreifen könne. "Die kommen mit den Betroffenen leichter ins Gespräch"; sie von den Drogen wegzubringen, sei allerdings kaum möglich.

Nun aber steht das Spritzentauschprojekt vor dem Ende: Das Programm wird es in dieser Form nur noch ein Jahr lang geben - dann streicht die Stadt die finanzielle Unterstützung.

© Von Nina Gutzki - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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