Adventskalender für gute Werke:Gelähmt an Leib und Seele

Lesezeit: 5 min

Menschen, die einen Schlaganfall hatten, leiden an Spätfolgen und kommen im Alltag nicht mehr zurecht.

Von Monika Maier-Albang

(SZ vom 06.12.03) - Frechdachs begrüßt die Besucher sofort. Streicht um die Füße, schnurrt, will gestreichelt werden. "Das ist ein ganz Lieber", sagt Claudia M. (Namen der Betroffenen sind geändert) und fährt dem Kater übers schwarzweiße Fell.

Moderne Geräte zur Therapie und Überwachung von Schlaganfall-Patienten. (Foto: Foto: AP)

Sie hat ihn großgezogen, in ihrer Wohnung auf dem Schlafzimmerschrank ist er zur Welt gekommen. Bis vor kurzem besaß Familie M. zwei Katzen. Doch dann starb die Spielgefährtin von Frechdachs.

Die beiden Buben, Michael, 9, und Christoph, 13, seien natürlich sehr traurig gewesen, erzählt Frau M. Das war sie anfangs auch. Inzwischen überwiegt die Erleichterung. "Eine Verantwortung weniger." Der Alltag ist schon kräftezehrend genug.

Stechender Schmerz im Kopf

Im Mai 1999 ist Claudia M. mit dem Rad unterwegs an der Blutenburg, als sie einen stechenden Schmerz im Kopf fühlt. Dann liegt sie auch schon neben dem Rad. "Ich bin einfach ohnmächtig geworden." Wie ihr Begleiter den Notarzt ruft, wie sie in Krankenhaus gebracht wird - davon bekommt Claudia M. nichts mit. Als sie aufwacht, ist ihre rechte Seite gelähmt.

Seit dem Schlaganfall leidet ClaudiaM. an einer so genannten Halbseitenschwäche: Die rechte Hand, das rechte Bein kann sie nur eingeschränkt benutzen. Sie hat Probleme beim Schlucken. Weil sie deshalb manchmal Nahrung einatmet, hatte sie schon öfter eine Lungenentzündung.

Nur mit großer Mühe kann sich Claudia M. über einen längeren Zeitraum konzentrieren - eine Folge der Gehirnblutung, die auch zu einer eingeschränkten Wahrnehmung geführt hat. Manchmal erkennt Claudia M. Dinge des alltäglichen Gebrauchs nicht mehr - etwa den Dosenöffner.

Sie legt ihn dann in die Schublade zurück, schiebt zu, macht wieder auf. "Das hilft meist." Kann sie Personen nicht sofort zuordnen, lässt sich das nicht so einfach regeln. Peinlich sei ihr es dann, erzählt Frau M.

Andere schmerzhafte Streiche

Das Gehirn spielt ihr noch andere schmerzhafte Streiche: Hin und wieder übersieht es eine Stufe. "Wenn ich dann runterfalle, schauen die älteren Leute immer ganz erstaunt, dass das auch Jüngeren passiert." Claudia M. ist 33 Jahre alt.

Bei Menschen in ihrem Alter sind leichtere Aussetzer und Lähmungen früher oft nicht einmal als Folge eines Schlaganfall erkannt worden.

"Vorübergehende Symptome liefen dann etwa als Migräne-Attacke," sagt der Neurologie-Professor Roman Haberl vom Klinikum Harlaching. Durch die verbesserte Diagnostik weiß man heute aber, dass der "Schlag" nicht nur alte Menschen treffen kann - sondern jeden jederzeit.

Die Gefäßerkrankungen, die zu einem Schlaganfall führen, kann schon ein 30-Jähriger haben. Allerdings wächst das Risiko tatsächlich mit dem Alter an, da sich die Risikofaktoren wie Stress und Übergewicht, Zuckerkrankheit, mangelnde Bewegung oder Herzrhythmusstörungen häufen. Zwei Drittel der Schlaganfall-Patienten sind älter als 70 Jahre.

Zu hoher Blutdruck

Gefährlich ist vor allem ein zu hoher Blutdruck. "Früher galt ja 140 zu 90 als normal", sagt Haberl. "Heute wissen wir, dass so ein Bluthochdruck das Schlaganfallrisiko verdoppelt."

Von den 180.000 Menschen, die nach Haberls Schätzung pro Jahr in Deutschland einen Schlaganfall erleiden, stirbt jeder Fünfte. Mittlerweile gibt es allerdings Medikamente, die sehr gut wirken - sofern sie früh genug verabreicht werden, möglichst in den ersten drei Stunden nach dem Schlaganfall.

Um schnell helfen zu können, haben inzwischen 114 Kliniken in Deutschland so genannte "Stroke-Units" - Schlaganfall-Stationen - eingerichtet. Die erste dieser Art gab es in Harlaching.

Oft aber bleiben trotz optimaler Behandlung und Rehabilitation Spätfolgen: Sehstörungen, Einschränkungen des Bewegungsapparates und der Gehirnleistung. Was häufig auch zu psychischen Belastungen führt.

Wutanfall aus heiterem Himmel

Claudia M. hat ihre Söhne, die sie stützen. Die beiden hochbegabten Buben holen ihre allein erziehende Mutter auch in die Realität zurück, wenn die aus heiterem Himmel einen Wutanfall bekommt.

Das passiert ab und zu, da Claudia M. an einer so genannten Borderline-Störung erkrankt ist, die manchmal auch zu starken Depressionen führt. Michael und Christoph haben ihr auch geholfen, das vergangene Jahr zu überstehen, als ihre Mutter sich einer Chemotherapie unterziehen musste.

Trotzdem arbeitet die städtische Angestellte weiter 20 Stunden pro Woche. Sozialhilfe, das kommt nicht in Frage für Claudia M., auch wenn das Geld so gerade mal für den Alltag reicht. "Wenn's ins Schullandheim geht oder ins Skilager, hab' ich ein Problem."

Zwei Mal hat sie ihre alte Waschmaschine schon selbst repariert, doch die "geht jetzt schon wieder nicht richtig".

Seit das alte Bettgestell zusammenbrach, schläft Claudia M. mit der Matratze auf dem Boden. Auch die psychotherapeutische Behandlung, die Frau M. als sehr hilfreich empfindet, kostet mehr als die Krankenkasse erstattet.

Endlich mal wieder in den Urlaub

Ein paar Weihnachtsgeschenke möchte sie kaufen für die Buben und dabei endlich mal nicht jeden Euro umdrehen müssen. Michael wünscht sich ein Experimentier-Labor für Salzwasserkrebse, Christoph eine neue Software für den geliehenen Computer. Endlich mal wieder zusammen in den Urlaub fahren - auch das wäre schön. Ein Ausweichquartier für Frechdachs ließe sich schon finden.

An Urlaub wagt Familie A. gar nicht zu denken. Drei Mädchen im Alter von fünf, acht und elf Jahren haben Ernest und Maida A.; zu Fünft leben sie in Schwabing in drei nebeneinander liegenden winzigen Ein-Zimmer-Appartements. Womit Familie A. zufrieden war - bis die Räumungsklage kam.

Der Besitzer des heruntergekommenen Studentenwohnheims wolle verkaufen, vermutet Ernest A.. Also sollen er und die anderen Mieter raus. Eine neue bezahlbare Bleibe zu finden, noch dazu eine, wo die Kinder nicht aus der Schule gerissen werden müssten, das ist in ihrer Situation so gut wie unmöglich: Ernest A., der vor elf Jahren seine Heimat Montenegro verließ, um nicht in den Krieg ziehen zu müssen, ist seit einem Schlaganfall ohne Arbeit.

Wie ein Schlag mit dem Hammer

Vor kurzem diagnostizierten die Ärzte in Großhadern einen inoperablen Hirntumor. Eigentlich ist das zu viel für ein Leben. "Seit dem 3. Juni 2002 ging es bergab mit uns", erzählt der ehemalige Gerüstbauer. Auf dem Weg zur Arbeit kippte er plötzlich um. "Es war wie ein Schlag mit dem Hammer ins Genick."

Ernest A. erwachte im Krankenhaus, wo ein Arzt ihn mit den Worten empfing: "Sie hatten Glück, Sie haben überlebt."

"Stimmt", sagt der 39-Jährige bitter. Auch er und seine Frau versuchen immer wieder, sich Mut zuzusprechen. An manchen Tagen malträtieren ihn stechende Schmerzen: im Kopf, in der Schulter, im Rücken. Die linke Hand, mit der er früher den 40-Kilo-Bohrer stemmte, kann nicht mehr zupacken.

"Ich soll nicht schwerer als ein Kilo tragen", sagt Ernest A.. "Aber ich will arbeiten!" Auf dem Arbeitsamt, wo er wegen einer Umschulung anfragte, bekam er nur die Auskunft, es sei schwer, für ihn eine Stelle zu finden.

Täglich auf Ämter und zu Ärzten

Momentan lebt Familie A. von Arbeitslosen- und Kindergeld. Maida A. ist Köchin; jetzt will sie sich eine Stelle suchen. Bislang aber begleitet sie fast täglich ihren Mann auf Ämter oder zu Ärzten. Denn Ernest A. wird schwindelig, kaum ist er zehn Minuten gegangen.

Weihnachtsgeschenke für die Mädchen? Dafür haben die Eltern kein Geld. Nena, die Jüngste, wünscht sich Barbie-Zubehör, Memmi, die Achtjährige, einen CD-Player. Und Fidi, die Älteste, hätte so gerne eine Querflöte. Ernest A. hat nur einen Wunsch: "Ich möchte noch so lange leben, bis meine Kinder für sich selbst sorgen können."

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: