Adelinde Dilz:Liebestöter ziehen noch

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Seit mehr als 50 Jahren arbeitet Adelinde Dilz in einem Dessousladen in der Sendlinger Straße. Auch Unterwäsche aus dem prüden Nachkriegsdeutschland hat sie noch im Angebot.

Lara Doktor

Im Schaukasten der Holztheke türmen sich etwa hundertfünzig BH's, nach Größe und Farbe sortiert: die weißen zu den weißen, die rosanen zu den rosanen, die roten zu den roten, mit feinen Stickereien, zarter Spitze und Schleifchen. Die Kästen im Regal sind handschriftlich ausgezeichnet mit "Rio, schwarz, 38" oder "String, weiß, 42".

Adelinde Dilz führt seit 33 Jahren ein Unterwäschegeschäft in der Sendlinger Straße. (Foto: Foto: Lara Doktor)

Seit Anfang der fünziger Jahren steht Adelinde Dilz in dem Unterwäscheladen "Lewandowski" in der Sendlinger Straße, den es schon seit 1885 gibt. Dilz begann damals ihre Lehre, vor 33 Jahren übernahm sie ihn. Der Name "Lewandowski" aber blieb.

Die fünfziger Jahre - eine Zeit zwischen Wirtschaftswunder und Petticoat, aber Lichtjahre entfernt von der sexuellen Aufklärung und Offenheit der Siebziger. Eine Zeit, in der auf Unterwäsche noch kein Wert gelegt wurde. Funktionell sollte die Wäsche sein, erinnert sich Dilz. "Man sieht's ja sowieso nicht", haben die Leute gesagt.

Frauen trugen Unterwäsche, die alles andere als sinnlich aussah. Solche Exemplare verkauft Dilz auch heute noch an ihre ältere Kundschaft. Dilz holt aus einem Karton eine große weiße Baumwollunterhose mit Bein hervor. Der Ausdruck "Liebestöter" passt dafür hervorragend.

Früher verschwieg Adelinde Dilz gelegentlich, dass sie in einem Geschäft für Unterwäsche arbeitete. Weil sie komisch angeguckt wurde und Witze gemacht wurden. Passanten gingen am Schaufenster vorbei und steckten die Köpfe zum Tuscheln zusammen. Wenn die Frauen in den Laden gingen, warteten die Männer vor der Tür.

Aber dann, in der sechziger und siebziger Jahren, kam ein Mann, der alles veränderte: Oswald Kolle. "Eine Revolution!", sagt Dilz. Aufklärung und Sexualität wurde ein öffentliches Thema, die Gesellschaft weniger verklemmt und prüde. Dass hatte auch Folgen für Dilz und ihren Laden: "Die Unterwäsche wurde frecher", erzählt Dilz, "Frauen wollten nun sexy sein." Die schöne Unterwäsche kam vor allem aus Frankreich.

Adelinde Dilz
:Liebestöter ziehen noch

Seit mehr als 50 Jahren arbeitet Adelinde Dilz in einem Dessousladen in der Sendlinger Straße. Auch Unterwäsche aus dem prüden Nachkriegsdeutschland hat sie noch im Angebot.

Lara Doktor

Die Unterwäsche, die bei Dilz über die Ladentheke wanderte, war aus neuen Materialien wie Stretch, war bunt und elegante geschnitten. Von weißen Baumwollbuchsen war keine Rede mehr. Und auch Männer kamen jetzt ins Geschäft mit hinein.

Manche Männer kamen aber auch alleine. Angeblich, um für ihre Frau Unterwäsche zu kaufen. Aber Dilz winkt ab: "Das haben wir sofort gemerkt, wenn Männer etwas für sich selbst kaufen wollten". Diese Männer kommen heute immer noch, aber sie verheimlichen nicht mehr, dass die Wäsche für sie selbst ist. Nur manchmal rufen Transvestiten vorher im Laden an und erkundigen sich, zu welcher Uhrzeit wenig los ist im Laden. Sie wollen nicht angestarrt werden.

Dilz kann sich mit ihrem Dessous-Laden gegen die große Konkurrenz nur behaupten, weil die Stammkunden immer wieder zu ihr kommen. Sie schätzen die Beratung. Denn Dilz weiß, wann ein BH gut sitzt.

Der Laden hat auch viele Dinge, die andere Unterwäschegeschäfte nicht mehr haben. Besonders ältere Frauen werden hier fündig. Wie zum Beispiel beim "Hüftgürtel". Dilz kramt eine Schachtel hervor und präsentiert einen weißen, gemusterten Stoffgürtel mit Strapsen, an dem Strümpfe befestigt werden.

Wie sich auf dem Unterwäschenmarkt vieles verändert hat, so hat sich auch in der Sendlinger Straße das Bild gewandelt: Ketten bestimmen das Bild. Einzelhandel wie das Geschäft von Adelinde Dilz gibt es kaum noch. Die Prostituierten, die früher in der Straße standen und auch zur Kundschaft von "Lewandowski" gehörten, wurden aus dem Zentrum verbannt. Die Sendlinger Straße wurde glattgebügelt.

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