Mittelalter-Turnier:Mach mir den Ritter!

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Die Sehnsucht nach dem schlichten Leben: Zum Ritterturnier in den Olympiapark zieht es tausende von Mittelalter-Freunden. Sie bekämpfen sich, essen Eunuchenkuchen und lassen sich von Hexen jagen.

Ruth Schneeberger

Sie sitzen in der Sonne und schwitzen. Trinken heißen Drachen-Met und lüften ihre bauschigen Gewänder. Feuern lautstark die Kämpfer an und brüllen um die Wette. "Was für ein prächtig Volk hier versammelt ist!" - "Naja, das beste was Ihr kriegen konntet!" streiten sich die Kämpfer. Das Publikum buht und johlt abwechselnd und ist ganz bei sich - oder besser: Völlig außer sich.

Beim Mittelalterfest im Olympiapark geht es darum, nicht man selbst zu sein - sondern ein anderer Mensch in einer anderen Zeit unter anderen Umständen. Diese Sehnsucht ist offenbar so groß, dass es tausende von Schauspielern, Mitspielern und Zaungästen an ihren freien Tagen auf das Festivalgelände zieht, zum "1. freien Ritterturney zu München", um unter sengender Sonne in bodenlangem bunten Kleid, dunklem Gewand oder von der Nasenspitze bis zum dicken Zeh in Ritterüstung umherzuschreiten - mal ganz offen, öfter aber heimlich bewundert von den Mittelalter-Freunden dieser Tage.

"Die Leute wollen die komplexe Arbeitswelt, den Teuro und die ganzen Schwierigkeiten des Alltags hinter sich lassen", erklärt sich Gaby Günther als Sprecherin der Veranstaltung den Zulauf. Rund 30 000 Besucher hätten das lange Wochenende von Freitag bis Montag zwischen Mittelalter-Markt, Feldschlachten, Ritterturnieren, Hexentanz und Spielleuten verbracht. Wer selbst in Verkleidung kam, bekam ein Freigetränk - doch für die meisten Mittelalterfans war die Frage nach der rechten Kleidung sowieso obsolet.

Nur mir Met

"Ich laufe immer so rum", erzählt Regina Seiffert, die aus Regensburg angereist ist, um ihren Traum einmal mehr zu leben. "Ich habe schon als Kind nicht mit Barbiepuppen gespielt, weil mir ihre Kleider nicht gefielen. Das hier ist ein völlig anderes Lebensgefühl. Es geht tiefer, man fühlt sich wohler, echter."

Wohler und echter ist für Rannveig Moroldsdotter auch das Essen, das sie hier auf dem Feuer kocht: Gemüseeintopf. Für das Buch "Kochen wie die Wikinger" hat sie überlieferte und durch experimentelle Archäologie entstandene Rezepte aus der Wikingerzeit zusammengetragen, um die Rezepte allen Freunden alter Zeiten zugänglich zu machen. Es sieht aus wie Pichelsteiner, ist aber mit Met.

Am Stand nebenan steht nun einer, der sich nicht nur als solcher besser fühlt, sondern auch so wirkt wie ein Wikinger: Holger Hörstkamp sah mal aus wie jeder andere und ging einer geregelten Arbeit nach - jetzt trägt er kleine Zöpfchen im hellen Bart, bastelt Wikinger-Kostüme und kennt sich ganz genau aus mit den Wikingern, ihren osmanischen Wurzeln und ihrem Einfluss auf Russland. Seine Frau rettet hauptberuflich Tiere, und wenn seine hellblauen Augen unterm Helm hervorblitzen, dann glaubt man ihm, dass dieses Leben schöner ist als sein altes.

Dass sich unter den Besuchern auch ein paar Neonazis an der schönen alten Zeit ergötzen, dass es im Vorfeld viel Ärger gab, um die Veranstaltung überhaupt auf die Beine stellen zu können, weil, so glaubt Veranstalter René Nicolas, der Veranstalter eines anderen Ritterturnieres die Konkurrenz fürchtet, dass die Kripo bei der Feldschlacht zu Gast ist, weil ihr zugetragen wurde, dass in dem Schauspiel ein Muslimenkopf abgeschlagen werden soll - all das bekommen die meisten friedlichen Gäste nicht mit.

Sie tanzen mit den Penzberger Perchten, die normalerweise nur im Winter auftreten, zwischen weißen Hexen und Schalmeiklängen in den Mai, essen Eunuchenkuchen (ohne Eier, ohne Nüsse) und fühlen sich pudelwohl. Auf dass der Alltag sie nicht zu schnell einhole.

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