Profil:Fritz Kuhn

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(Foto: dpa)

Scheidender Oberbürgermeister mit Beziehungsproblemen.

Von Claudia Henzler

Vermutlich haben die Beziehungsprobleme mit dem Fernsehturm begonnen. Stuttgarter weisen gerne darauf hin, dass er der erste seiner Art war und zum Vorbild für Aussichtstürme in aller Welt wurde. Genau 57 Jahre lang waren sie stolz auf dieses Wahrzeichen schwäbischer Ingenieurskunst - und dann kam Fritz Kuhn daher und sperrte das Ding zu.

Es war eine der ersten Entscheidungen, die der frühere Bundespolitiker und Parteivorsitzende der Grünen 2013 als gerade gewählter Oberbürgermeister traf. Kuhn handelte dabei nicht etwa aus einer Laune heraus. Er schloss den Turm, weil der Stadtverwaltung (Jahre zu spät) aufgefallen war, dass der bei einem Brand zur tödlichen Falle werden könnte. Doch statt Lob für entschlossenes Handeln kassierte Kuhn empörte Kritik, monatelang musste er seine Entscheidung immer wieder aufs Neue rechtfertigen. So hatte sich der Grünen-Promi den Einstieg in die Kommunalpolitik nicht vorgestellt.

Als Ministerpräsident Winfried Kretschmann den alten Weggefährten Kuhn 2012 zurück nach Stuttgart lockte, wo der seine Karriere im Landtag begonnen hatte, galt das als Coup. Tatsächlich konnten die Grünen mit dem bekannten Kandidaten das Rathaus holen und so noch einen draufsetzen auf den historischen Machtwechsel von 2011. Damals hatte Kretschmann die CDU aus dem Staatsministerium verdrängt, eine Folge des wütenden Kampfs gegen das Bahnprojekt "Stuttgart 21", bei dem die CDU viel Vertrauen verlor.

Kuhn durfte sich als erster Grünen-Politiker Oberbürgermeister einer Landeshauptstadt nennen. Ein Titel fürs Geschichtsbuch, der nichts daran änderte, dass die Grünen im Gemeinderat bis heute keine Mehrheit haben. Von den acht Jahren seiner Amtszeit war er die meiste Zeit auf die Kooperation der CDU angewiesen. Und der lag wenig daran, den Mann gut aussehen zu lassen, der sie aus dem Rathaus verdrängt hatte.

Nun nähert sich Kuhns Amtszeit ihrem Ende. Der 65-Jährige tritt nächsten Sonntag nicht noch einmal zur Wahl an. Was bleibt also von der Ära Kuhn? Mal abgesehen davon, dass die Stadt wirtschaftlich gut dasteht und mehr als zwei Drittel der Bewohner sagen, dass sie die Lebensqualität in Stuttgart für gut oder sehr gut halten?

Beim Klimaschutz hat Kuhn vieles aufs Gleis gesetzt, was erst in den kommenden Jahren Wirkung entfalten wird. Bereits sichtbar sind erste Auswirkungen einer Verkehrswende. Die Stadt liegt in einem Talkessel, durch den zu viele Autos rollen, was Staus, Lärm und Dreck verursacht. Jahrzehntelang hatte die Politik mit immer neuen Tunneln auf diese Situation reagiert.

Kuhn hat eine große Tarifreform im Nahverkehr durchgesetzt, ein Jobticket eingeführt und den "Feinstaubalarm" erfunden, bei dem Bürger im Falle ungünstiger Wetterlagen aufgefordert wurden, auf Bus und Bahn umzusteigen. Inzwischen fahren etwas weniger Autos in den Talkessel, die Luft ist sauberer, und selbst der ADAC spricht sich dafür aus, dass der öffentliche Nahverkehr ausgebaut wird und die Straßen leerer werden. Der Automobilclub akzeptiert sogar, dass Autofahrer nur noch mit Tempo 40 durch die Stadt schleichen dürfen.

Bei einer Umfrage sagten kürzlich 49 Prozent der befragten Stuttgarter, Kuhn sei kein guter Oberbürgermeister gewesen. Das dürfte weniger inhaltliche Gründe haben als atmosphärische. Bis heute wird in Stuttgart nämlich seltener darüber gesprochen, was Kuhn für die Stadt erreicht hat, als darüber, ob er zu kühl und distanziert gewesen sei. Tatsächlich liebt er das Bad in der Menge nicht und umgibt sich am liebsten mit Menschen, die genauso schnell denken wie er. Im fehlt die pädagogische Ader eines Winfried Kretschmann, der den Kritikern die Sache mit dem Fernsehturm wohl geduldig immer wieder erklärt hätte. Für Kuhn zählt am Ende, dass die Stuttgarter nun den sichersten Fernsehturm der Welt haben.

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