China:Der Erfinder des neuen chinesischen Nationalismus

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(Foto: Wang Zhao/AFP)

Wang Huning erdenkt sich die politischen Schlagworte und den notwendigen ideologischen Unterbau, den Peking für die Rechtfertigung seiner Alleinherrschaft braucht.

Von Lea Deuber, Peking

Der Kopf hinter Chinas Träumen, dem Wunsch nach Weltmacht und Wiederaufstieg, ist erstaunlich leicht zu übersehen. Selbst in China dürften nur wenige Menschen den zurückhaltenden Mann mit Brille bemerken, geschweige denn erkennen, wenn er bei Auftritten neben Parteichef Xi Jinping auftaucht. Dabei ist Wang Huning, das ständige Mitglied des Politbüros, nicht nur die Nummer fünf im Staat, sondern auch der Schöpfer eines der wichtigsten ideologischen Aushängeschilder der KP in den vergangenen Jahrzehnten - darunter Xis Kernparole vom "Chinesischen Traum".

Wang hat den ideologisch toten chinesischen Kommunismus gegen Nationalismus getauscht und erdenkt sich die politischen Schlagworte und den notwendigen ideologischen Unterbau, den Peking für die Rechtfertigung seiner Alleinherrschaft braucht.

Der Chefideologe ist diese Woche auch dabei, wenn die Führung am nächsten Fünf-Jahres-Plan schraubt, der Chinas Kurs auf Jahrzehnte mitbestimmen wird. Das Scheinparlament nickt den Plan im März ab, was aber drinsteht, das entscheidet maßgeblich auch Wang.

Wang Huning ist eine interessante Person inmitten von Chinas grauen Technokraten, Bürokraten und Parteikarrieristen. Er wurde 1955 in Shanghai in eine Familie von Revolutionären geboren. Ein introvertierter Junge, ein fanatischer Buchleser. Als diese in der Kulturrevolution knapp wurden, tat er alles dafür, an Nachschub zu kommen. 1978, als die Universitäten wieder öffneten, nahm er als einer der ersten Schüler an der Zugangsprüfung teil. Sein Ergebnis war so herausragend, dass er direkt in ein Masterprogramm wechseln durfte. Er blieb als Wissenschaftler, wurde bald Professor. Unter Studenten beliebt, von seinen Kollegen geschätzt, übernahm er bereits mit Mitte dreißig den Lehrstuhl Internationale Politik und die Leitung der juristischen Fakultät.

Chef-Flüsterer der politischen Elite ist er nicht erst unter Xi. Aufmerksam auf ihn wurde bereits Jiang Zemin in den Neunzigern, als er für eine stärkere Konzentration der Macht auf die Zentralregierung warb, Neoautoritäre nannte man Vertreter seiner Art. Als Jiang ihn nach Peking holte, zögerte er erst, aber nicht lange.

Während andere die Machtwechsel in Peking nicht überlebten, überstand Wang sie alle. Er hat nie eine Provinzregierung geführt, keine Erfahrung auf Lokalebene in der Partei, unter Xi stieg er trotzdem bis in den engsten Zirkel auf. Ideologisch verbindet die beiden ihr Glaube an eine gnadenlose Führung, Sicherheit und Kontrolle, als Grundlage für wirtschaftliche und soziale Stabilität in China.

Dazu die Abneigung gegenüber den USA. Wang studierte in den Vereinigten Staaten, schrieb Bücher über das Land und seine Widersprüche, die er dem System als Schwäche auslegte. In einem Buch schrieb Wang einst, China müsse eine unabhängige Außenpolitik entwickeln, nicht auf Kooperation setzen. Schon als Hochschullehrer sprach er sich für eine aggressivere Außenpolitik aus. Macht, um sie nach innen projizieren zu können.

Wenn Xi ins Ausland reiste in den vergangenen Jahren, war Wang häufig dabei. Er ist bis heute einer seiner engsten Vertrauten. Ohne eigene Machtbasis innerhalb der Partei hängt seine Position und Zukunft allein an Xi. Auch das dürfte dem machthungrigen Präsidenten an der Beziehung gefallen. Die einen vergleichen Wang entsprechend mit dem Außenpolitiker Henry Kissinger oder Karl Rove, dem einstigen, skrupellosen Bush-Berater. Die anderen mit den traditionellen Gelehrten im alten China, die ihr Leben dem Kaiser widmeten.

Für Wang könnte es sogar noch etwas höher hinausgehen. Anders als Xi Jinping, der sich sein Amt zu einem Job auf Lebenszeit umgebaut hat, muss Ministerpräsident Li Keqiang 2022 abtreten. Einen Nachfolger gibt es offiziell noch nicht. Wang wäre denkbar.

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