US-Sadcom:Lachtherapie

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Nimm dies, Schicksal: "One Missisippi" erzählt großzügig fiktionalisiert aus dem Leben von Stand-up-Comedian Tig Notaro, die sich selbst spielt.

Von Benedikt Frank

Wer auf Englisch die Sekunden zählt, beginnt mit "One Mississippi". Die Silben zu sprechen dauert in etwa eine Sekunde. Die Mississippis innerlich zu zählen, bremst den Affekt, erlaubt es, sich zu sammeln, statt dem Flucht- oder Angriffsinstinkt nachzugeben. Seit sie nach Mississippi gezogen ist, muss Tig Notaro oft den namensgebenden Fluss zählen. Etwa wenn der Radiomoderatorin aus Los Angeles zwei nette alte Damen am Martin-Luther-King-Tag einen schönen Great Americans Day wünschen. Das sage man jetzt so, denn Robert E. Lee, der im Süden als Held verehrte Bürgerkriegs-General der Konföderierten, habe ebenfalls Geburtstag und man müsse eben beide Seiten ehren. One Mississippi. "Du meinst Gut und Böse?", antwortet Tig, so entspannt wie nur möglich, wenn ihr als liberaler, queerer Frau das naiv reaktionäre Weltbild der einfachen Leute hier entgegenschlägt.

Die Komikerin Tig Notaro spielt sich selbst in der Serie One Mississippi, deren zweite Staffel nun läuft. Die erste handelt von ihrem Schicksalsjahr. Innerhalb von wenigen Monaten hatte Notaro eine gefährliche Darmerkrankung, ihre Beziehung zerbrach, ihre Mutter starb plötzlich und schließlich wurde bei ihr Brustkrebs diagnostiziert. Als sie einen Tag danach die Erkrankung beim Stand-Up thematisierte, wurde ausgerechnet dieser Auftritt ihr Durchbruch im Comedy-Geschäft. Die Serie ist nun Notaros großzügig fiktionalisierte Autobiografie und spielt nach diesen Ereignissen. Tig kehrt nach dem Tod ihrer Mutter in die erfundene Kleinstadt Bay St. Lucille im US-Bundesstaat Mississippi zurück, um ihrem ebenso peniblen wie unpraktisch veranlagten Stiefvater Bill (John Rothman) und ihrem Bruder Remy (Noah Harpster) bei der Regelung des Nachlasses zu helfen.

Die Serie erzählt die großzügig fiktionalisierte Geschichte von Comedian Tig Notaro, die sich selbst spielt. (Foto: Jessica Brooks)

Tod, Trauer und Krankheit sind alles andere als typische Themen für eine Sendung, die als Comedy beworben wird. Zudem sie noch um weitere Traumata ergänzt werden, es geht eben auch um Misshandlung und den Rassismus der Südstaaten. Die Probleme werden nicht als Lachnummern missbraucht, sondern mit respektvollem Ernst behandelt. Es gibt weder Lachpausen noch Spaß-Assistenz durch ein von der Tonspur johlendes Publikum. Viele neuere amerikanische Comedy-Serien wie Master of None oder Transparent verzichten ebenfalls auf Schenkelklopfer und lassen ernste Themen zu. Doch One Mississippi ist inhaltlich die wohl depressivste aller Sadcoms.

Trotzdem stimmt die Kategorisierung als Comedy. Die Serie zeigt einen feinen Humor, der eher ein konstantes Grundlevel an Witzigkeit erzeugt, anstatt sich ständig im Anlauf auf die nächste Pointe zu befinden. Und sie bedient sich, in Staffel zwei mehr noch als in der ersten, der Romanze als Druckventil. Tig beginnt eine Show beim lokalen Radiosender und verliebt sich in ihre Technikerin Kate, gespielt von Stephanie Allynne, die im richtigen Leben Notaros Ehefrau ist. Der Vater entdeckt, dass seine neurotische Art auch attraktiv sein kann und auch beim Bruder bahnt sich etwas an.

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So kann die Serie sich ihrer schweren Themen annehmen und ehrlich über Intimes sprechen, ohne zur Tragödie zu werden oder Elendsvoyeurismus zu bedienen. Das funktioniert auch, weil Tig Notaro allen schwierigen Situationen mit einer unglaublichen Coolness begegnet, wenn nicht gar mit Lethargie. Als seien nun wirklich schon genügend Mississippis vergangen, seit sie die Kränkungen und Katastrophen des Alltags selbst erlebt hat.

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© SZ vom 30.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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