TV-Preis:Erfolge im Abo

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Bei der Emmy-Verleihung in Los Angeles räumt wieder einmal die HBO-Serie "Game of Thrones" ab - und zeigt, wie schön es ist, dass das althergebrachte Konstrukt Fernsehen nicht mehr existiert.

Von Jürgen Schmieder

G ame of Thrones war die beste Serie der vergangenen Spielzeit, ja ist - bei allem Respekt für Produktionen wie I Love Lucy und M*A*S*H und Lost - womöglich sogar das Aufregendste, was jemals in Serienform erzählt wurde. Es ist wichtig, das gleich zu Beginn zu klären, denn es wird nun um Qualität gehen. Um gesellschaftliche Relevanz von Fernsehserien. Um Politik in Hollywood. Um das künstliche und oftmals peinliche Erschaffen von Trends in der Popkultur. Um Geschacher bei der Vergabe von Preisen. Um eine Revolution in der Rezeption von Kunst. Wer über so vieles debattiert, sollte vorher eine Prämisse festlegen.

Die 20 000 Mitglieder der Television Academy haben sich ebenfalls auf diese Prämisse geeinigt - und bei allem Respekt für Better Call Saul und House of Cards und Downton Abbey: Das war eine einfache Entscheidung, nicht nur die Auszeichnung als bestes Drama, sondern auch in den fürs Publikum weniger spektakulären, in der Stadt der Geschichtenerzähler jedoch überaus bedeutsamen Kategorien Regie und Drehbuch. Game of Thrones hat nun insgesamt 38 Emmys gewonnen, mehr als jede andere Serie zuvor. Am Ende der 68. Verleihung standen sie alle auf der Bühne im Microsoft Theater: die Erfinder D.B. Weiss und David Benioff. George R.R. Martin, der Autor der Romanvorlage "A Song of Ice And Fire". All die Schauspieler, die verloren hatten wie Peter Dinklage gegen Ben Mendelsohn ( Bloodline) oder Emilia Clarke gegen Maggie Smith (Downton Abbey).

Jaja, Fernsehserien haben - langsam wird's langweilig, das zu wiederholen - die Unterhaltungsbranche revolutioniert. Doch - und es wird Zeit, dieser Frage nachzugehen - wie hat dieses Fernsehen das geschafft? Ist Fernsehen vielleicht deshalb so grandios, weil es so was wie das Fernsehen überhaupt nicht mehr gibt? Weil all die Begrenzungen (Anzahl der Episoden pro Saison, Dauer pro Folge, Anzahl der Werbeinseln während einer Sendung, Zwang zum Hinweis auf die Episode der kommenden Woche), die Kreativität so schrecklich einschränken, einfach weggebrochen sind?

Das Konstrukt des Fernsehens, an das sich nur noch die Älteren erinnern, ist tot. Und vielleicht ist das ganz gut so, weil dann früher doch nicht alles besser war.

Wohin sich die Kunst des Geschichtenerzählers entwickelt hat und warum Fernsehen ein Begriff aus längst vergangener Zeit ist, das zeigt Emmy-Moderator Jimmy Kimmel bereits zu Beginn, als er sich von Protagonisten verschiedener Formate durch den Verkehr von L.A. fahren lässt und dabei zahlreiche Genres abarbeitet: Kriminal-Miniserie ( The People v. O.J. Simpson), Sitcom ( Modern Family), Late-Night-Show ( Carpool Karaoke mit James Corden), politische Satire und politische Realität ( Veep-Hauptdarstellerin Julia Louis-Dreyfus wird von Expräsidentschaftskandidat Jeb Bush chauffiert), Promi- und Reality-TV (Alles-Moderator Ryan Seacrest). Natürlich wird Kimmel am Ende auf dem Drachen von Daenerys Targaryen ( Game of Thrones) ins Stadtzentrum geflogen.

Etwa 80 Millionen Dollar haben die Sender und Streamingportale dafür ausgegeben, ihre Emmy-Nominierten in den vergangenen Wochen im Stadtbild von Los Angeles zu bewerben. Solche Investitionen waren bislang der Filmbranche vorbehalten - doch die Oscars, der noch immer wichtigste Preis der Filmindustrie, kämpfen seit Jahren gegen die Belanglosigkeit einer immer gelangweilteren und damit immer langweiligeren Branche.

Bei Streamingdiensten wie Netflix und bei Bezahlsendern wie HBO ist sehr vieles möglich

Im Fernsehen dagegen, und das ist das große Verdienst von Bezahlsendern wie HBO und Streamingportalen wie Netflix, welche auch die diesjährigen Emmys dominierten, da ist sehr vieles möglich. Das zeigt die Aufarbeitung des spektakulärsten Kriminalfalls des 20. Jahrhunderts. Die Dokumentation O.J. Made in America (erst im kommenden Jahr für den Emmy qualifiziert) könnte die erste Fernsehsendung sein, die auch den Oscar gewinnt. Die Fiktionalisierung The People v. O.J. Simpson gewann fünf Emmys, darunter jene für die Schauspieler Courtney B. Vance, Sarah Paulson und Sterling K. Brown.

Genauso wenig indes, und da waren sich Produzenten und Darsteller von The People auf der Aftershow-Party in der legendären Kathedrale Bibiana einig, wie dies nur als Hinweis darauf zu werten ist, dass True-Crime-Geschichten besonders schick wären, sind die Preise für Rami Malek ( Mr. Robot) und Tatiana Maslany (Orphan Black) eine Hommage an die Nerds, der fünfte Emmy in Folge für Julia Louis-Dreyfus ( Veep, auch als beste Komödie ausgezeichnet) ist kein Hinweis auf das politische Klima in den USA.

Das Fernsehen hat sich gelöst von erzählerischen Fesseln - und vielleicht lässt sich das am besten mit einem Rätsel erklären, dass George R. R. Martin auch am Sonntag wieder präsentierte: Er fragte seine Zuhörer grinsend, wie viele Kinder Scarlett O'Hara gehabt habe: "Im Roman von Margaret Mitchell hat sie drei, im Film Vom Winde verweht nur eins - und in Wirklichkeit hatte sie gar keins, weil sie nie existiert hat. Es gibt mehrere Möglichkeiten, diese Geschichte zu erzählen. Keine ist besser oder schlechter, alle sind wunderbar - so lange sie interessant und spannend sind."

Die Menschen erzählen sich seit Jahrtausenden gegenseitig Geschichten: am Feuer vor der Höhle, auf dem Marktplatz, zwischen Buchdeckeln, auf einer Leinwand, im Internet-Tagebuch. Seit jeher gilt: Wer langweilig ist, dessen Geschichte wird vergessen. Wer fasziniert, dessen Stimme wird gehört. Die großen Geschichten, jene über das Leben, das Universum und den ganzen Rest, die werden heutzutage in seriellen Formaten erzählt. Und wer sie faszinierend und spannend erzählt wie Transparent-Erfinderin Jill Soloway, der darf auf der Emmy-Verleihung des Ende des Patriarchats ausrufen, den Präsidentschaftskandidaten Donald Trump hinter der Bühne als "Monster" und "Erbe von Hitler" bezeichnen und eine Revolution ankündigen.

"The Revolution Will Not Be Televised", so lautet ein wunderbares Gedicht des grandiosen Gil Scott-Heron. Die Revolution, sie wird jedoch übertragen, auf jeden Laptop und auf jedes Telefon, das mit dem Internet verbunden ist. Und vielleicht ist das ganz gut so, weil die Menschen nun über diese Revolution debattieren. Nur nicht über Game of Thrones bitteschön, das ist die beste Serie der Geschichte. Aber das ist ja wohl sowieso klar.

© SZ vom 20.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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