Theaterfilm:Und dazu bröckelt der Putz

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Platonow Ralf (Stephan Grossmann) zeigt seiner frisch Vermählten Sonja (Franziska Petri) die Heimat. (Foto: ZDF/Felix Cramer)

Melancholische Hochzeit in der ostdeutschen Pampa: 3sat zeigt Tschechows Stück "Platonow" als Spielfilm, behutsam aktualisiert.

Von Luise Checchin

Mit einem Bräutigam, der neben so einer schönen Braut schläft, muss etwas nicht stimmen. Andererseits, wie die Braut da aus dem Fenster ihrer Hochzeitslimousine auf die brandenburgischen Felder blickt, sieht sie eigentlich ganz zufrieden aus. Es ist Frühling, die Zugvögel kehren zurück, alles steht auf Anfang, so scheint es.

Wie Erwartungen enttäuscht werden, darum kreisen alle Dramen Anton Tschechows. Der Regisseur Andreas Morell und die Drehbuchautoren Katrin Warnstedt und Thomas Wendrich haben sich nun eines seiner Frühwerke angenommen. Für 3sat haben sie die Geschichte um den Dorfschullehrer und Tunichtgut Platonow verfilmt und sie dabei nicht nur in die Jetztzeit verfrachtet, sondern auch umgesiedelt: von der russischen in die ostdeutsche Provinz.

Am Hochzeitstag nimmt Ralf (Stefan Grossmann) seine Braut Sonja (Franziska Petri) zum ersten Mal mit in seine Heimat. Nicht nur das nach der Wende zurückgeerbte Gut gibt es dort zu bestaunen, auch die Hochzeitsgesellschaft macht einiges her: Da ist Ralfs Stiefmutter, eine femme fatale, kaum älter als der Bräutigam, die verzweifelt versucht, das verschuldete Gut am Laufen zu halten. Da ist ein Hotelmagnat mit Migrationshintergrund, der einen Themenpark zum "Eisernen Vorhang" bauen will. Da ist der junge Landarzt, der für eine gute Party auch mal Kranke warten lässt. Und allen voran natürlich Michael Platonow (Robert Besta), einst glühender Revoluzzer, jetzt desillusionierter Schürzenjäger und - wie das Leben so spielt - der frühere Liebhaber der Braut.

Morell, Warnstedt und Wendrich haben die tschechowsche Vorlage behutsam aktualisiert. Zwar macht der Nachbar in Biosprit, zwar singt man französische Chansons vom Beamer ab und beißt in Spreewaldgurken. Eigentlich aber hat sich im Universum der Figuren kaum etwas Wesentliches verändert. Vom Anwesen bröckelt der Putz, durch die Vorhänge der Fenster scheint milchiges Licht, die Bewohner lustwandeln sinnierend durch verwunschene Gärten. Mitunter blitzt ein bisschen Judith-Hermann-Atmosphäre auf, die mit Sommerhaus, später Ende der Neunzigerjahre den lakonischen Weltschmerz der Berliner Bohème einfing. Man wünschte sich aber, die Filmemacher hätten diesen Ansatz konsequenter verfolgt: Vom Kapitalismus enttäuschte Berliner Hipster in der ostdeutschen Pampa, das hätte reizvoll werden können. Stattdessen wird alles nur angedeutet. Dekadente Melancholie scheint überall durch, auf den Punkt gebracht oder mit Inhalt gefüttert wird sie aber nie. Das liegt vor allem daran, dass der Film sich mehr für die Braut Sonja interessiert als für Platonow. Statt um enttäuschte Ideale geht es nun vornehmlich um enttäuschte Liebe. Ralf und Platonow stellen sich nacheinander auf ihre ganz eigene Weise als Hochstapler heraus. So alleinig auf die amourösen Verstrickungen fokussiert, fehlt der Geschichte aber eine gewisse Fallhöhe.

Dass Platonow trotzdem sehenswert ist, hat vor allem mit den Darstellern zu tun. Jede Figur des bis in die Nebenrollen vorzüglich besetzten Ensembles umweht der kalte Hauch der tschechowschen Einsamkeit. Allen voran Stefan Grossmann als linkischer, frankophiler Bräutigam und Franziska Petri als zarte, aber bis zum Schluss rätselhafte Porzellanbraut. Wie sich Sonjas Sehnen nach Geborgenheit und Neuanfang in Ernüchterung verwandelt, ist anrührend zu beobachten und illustriert gut, was Tschechow schon vor mehr als hundert Jahren wusste: "Wer, wie der Zugvogel, Rettung sucht durch Wechsel des Ortes, der findet sie nicht, denn für ihn ist die Welt überall gleich."

Platonow , 3sat, Samstag, 20.15.

© SZ vom 12.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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