Spielfilm:Anfang nach dem Ende

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In "Atempause" von Aelrun Götte muss ein Paar mit dem Hirntod eines Kindes klarkommen. Der Film wurde in chronologischer Reihenfolge gedreht - das zahlt sich aus.

Von Selim Aydin

Ein im Jugendfußball übliches Missgeschick hat für den kleinen Hannes und seine Familie tragische Folgen: Bei einem Spiel bekommt er den Ball an den Kopf. Diagnose: Gehirnblutung. Im Krankenhaus wird Hannes für hirntot erklärt.

Atempause von Aelrun Goette ist ein Kammerspiel, das vom Kampf der Eltern gegen die harte Realität erzählt: Hannes wird nicht wieder aufwachen. Ihren Fokus legt Goette auf die Gefühle der Charaktere: Trauer, Wut, Hoffnung, Ausweglosigkeit. Universelle Gefühle, die aber von jedem Individuum und jeder Kultur anders verarbeitet werden.

"Woran glaubst Du?", heißt die ARD-Themenwoche, in deren Rahmen Atempause läuft - eine Frage, die sich in dieser Extremsituation auch die Figuren stellen, allen voran Hannes' Schwester Tina (Sarah Mahita): Sie beneide Moslems manchmal um ihr Gottvertrauen, sagt sie zu Samet (Aram Arami), dessen Bruder im gleichen Zimmer wie Hannes behandelt wird. Es sei "schön, wenn man weiß, dass da jemand ist, der es richtig macht".

Die türkische Großfamilie von Samet wirkt voller Lebensfreude, wie einem Film von Emir Kusturica ( Arizona Dream) entsprungen. Vater Bülent (Özgür Karadeniz) versucht Hannes' Vater Frank (Carlo Ljubek) mit albernen Witzen aufzumuntern. Seine Suche nach Stärke und Halt führt Frank, der den Tod seines Sohnes bald akzeptiert, auch in den Raum der Stille im Krankenhaus, wo er ins Gebet versunkene Muslime beobachtet hat.

Hannes' Mutter Esther (Katharina Marie Schubert) dagegen möchte die Diagnose nicht wahrhaben und klammert sich verzweifelt an den letzten Strohhalm einer zweiten Untersuchung am nächsten Tag. Damit beeinflusst sie auch Hannes' Großeltern, die glauben, ihr Enkel könne gesund werden, wenn die Ärzte unter Druck gesetzt werden oder Hannes in ein besseres Krankenhaus verlegt wird.

Regisseurin Goette (Im Zweifel) hat Atempause in chronologischer Reihenfolge gedreht - wegen des logistischen und finanziellen Mehraufwands eher unüblich bei abendfüllenden Filmen. Der verblüffende Effekt: Die Schauspieler erleben die Handlung viel unmittelbarer und intensiver. "Ich will mit ihnen in eine Tiefe vordringen, in der sie nicht mehr spielen, sondern 'sind'", sagt Aelrun Goette laut Pressematerial. "Denn der Zustand, den der Film beschreibt, ist nicht mehr erspielbar."

Schmerz bringt Menschen zusammen. Hannes' getrennt lebende Eltern kommen sich wieder näher in dieser ausweglosen Situation. Auch das Verhältnis von Esther zu Tochter Tina bessert sich. Offenbar ist das die Botschaft: Es kann Gott sein, den man liebt und dem man vertraut. Es kann allerdings auch die Familie sein. Hauptsache, da ist irgendwas, woran man sich in dunklen Zeiten festhalten und woraus man Durchhaltevermögen schöpfen kann.

Atempause , ARD, 20.15 Uhr.

© SZ vom 14.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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