Schweizer Selbstsuche:Weltklasse im Tennis

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Schweiz-Kritiker Bärfuss: "Durchmarsch" der Rechten bei der NZZ, zermürbter Tages-Anzeiger, kuschendes Staatsfernsehen? (Foto: Gaetan Bally/picture alliance/KEYSTONE)

Presse und TV arbeiten sich am Kritiker Lukas Bärfuss ab. Der Schlagabtausch ging beim Auftritt im TV-Talk von Roger Schawinski weiter.

Von charlotte theile

Auf seine übliche Eingangsfrage - "Wer bist du?" - hatte Roger Schawinski am Montagabend verzichtet. Den Gast des öffentlich-rechtlichen Talkmasters kennen in der Schweiz jetzt alle: Lukas Bärfuss ist der umstrittenste Schriftsteller des Landes. Stattdessen fragte Schawinski nach dieser Überschrift in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Sei die von ihm? Nein, sagte Bärfuss, er stehe aber dahinter.

"Die Schweiz ist des Wahnsinns" so steht es über dem Rundumschlag, den Bärfuss vor knapp zwei Wochen in der FAZ veröffentlicht hatte - kurz vor den Wahlen, die einen klaren Sieg für die rechtskonservative Schweizer Volkspartei SVP brachten. Auch nach der Wahl wird Bärfuss' Fundamentalkritik noch immer kontrovers diskutiert. Und wie das geschieht, sagt viel darüber aus, wie diese Medienlandschaft heute aussieht - die Bärfuss ebenfalls scharf kritisiert hat: Die SVP und ihr milliardenschwerer Patron Christoph Blocher kontrollierten weite Teile des Landes, unabhängige Medien gebe es kaum. Überall im Land, besonders aber in der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) finde ein "Durchmarsch" der Rechten statt. Der linksliberale Tages-Anzeiger sei von Kürzungen zermürbt, selbst das "Staatsfernsehen" kusche vor den Rechten.

Bärfuss habe in ein Wespennest gestochen, diagnostiziert die linke Wochenzeitung, sein Essay funktioniere wie ein Rorschach-Test: "Sag mir, was du herausliest, und ich sage dir, wer du bist."

Der Schriftsteller wurde nun von dem zum öffentlich-rechtlichen TV bekehrten früheren Sat-1-Geschäftsführer Schawinski hart angegangen. Früher einmal habe alles auf die Worte von Max Frisch und Friedrich Dürrenmatt gewartet, auf die Meinung von Bärfuss warte niemand. Das ist das Zitat eines Schriftstellerkollegen, zu dem Bärfuss Stellung nehmen sollte. Er sei nun einmal jetzt am Leben, meinte er, und habe das Recht, seine Meinung zu teilen. Schawinski ist offensichtlich selbst empört über den Text, besonders über ein Sprachbild: Die Schweizer, hatte Bärfuss geschrieben, wollten "ein Volk von Zwergen" sein und bleiben. Man habe die ETH Zürich, hielt Schawinski aufgebracht entgegen, "die beste Universität auf dem Kontinent", man habe Roger Federer, "den besten und weltmännischsten Tennisspieler", die höchste Lebensqualität in den Städten, Nobelpreisträger. Wenn einer wie Bärfuss den Schweizern sage, sie seien klein und wenig, sei das gefährlich. Der Gast, der von Zwergen geschrieben hatte, um den sinkenden Einfluss der Schweiz im internationalen Kontext zu illustrieren, fühlte sich bemüßigt klarzustellen: "Man glaubt es fast nicht, aber ich bin auch Schweizer."

Ein Schweizer, der unbarmherzig über das eigene Land urteilt, hat keine inhaltliche Auseinandersetzung verdient: Diesen Eindruck der vergangenen Tage vermittelte besonders die NZZ. Nachdem Literaturredakteur Roman Bucheli am 16. Oktober geschrieben hatte, Bärfuss habe "in bester Frisch-Manier" zum "furiosen Rundumschlag" ausgeholt, korrigierte er schnell: Am 17. Oktober schrieb Bucheli von einem "sprachlich wie gedanklich schwachen Text", der "alle Vernunft fahren" lasse.

René Scheu, der designierter Feuilleton-Chef der NZZ, exerzierte das einige Tage später weiter durch: In einem offenen Brief an Bärfuss geißelte Scheu Buchelis Text aus Frankfurt als "reflexartige Kulturberichterstattung" - und holte dann zum Tiefschlag aus: Bärfuss habe seine "Seele offengelegt", es verlernt, "wie ein Mensch zu agieren" - und überhaupt: In den Zeitungen, über die der Schriftsteller jetzt die Nase rümpfe, habe er ja bisher immer gern publiziert, wenn das Geld gestimmt habe.

Das Schweizer Fernsehen, sagte Schawinski, sei wahnsinnig nervös vor solchen Großereignissen

Die Repliken seien tatsächlich zu persönlich gewesen, erklärte selbst Schawinski. Und er übte auch Selbstkritik: Das Schweizer Fernsehen hatte kurz vor der Wahl einen europafreundlichen Beitrag mit dem österreichischen Schriftsteller Robert Menasse gekippt - was viele als Kuschen vor der SVP interpretierten. Vor solchen politischen Ereignissen herrsche, sagte Schawinski, einfach "große Nervosität".

Bärfuss hat unterdessen ein weiteres Thema angeschnitten, das in der Schweiz am liebsten vermieden wird: Man müsse eine "harte Auseinandersetzung" über das Demokratie-Verständnis "gewisser Leute" führen, sagt er bei Schawinski. Dazu gehöre ein Nachdenken über Begrifflichkeiten. Viele Positionen, die die SVP vertrete, seien für ihn rechtsextrem. Ein Reizwort, das in der Schweiz, wo die Partei fast 30 Prozent erreicht, eine Provokation ist. Rechtsextreme, sagte Schawinski entrüstet, "das ist Pegida, die in Deutschland jeden Tag Flüchtlingsheime abfackeln", also kein guter Vergleich. Er sei erstaunt, dass Bärfuss ihn dazu bringe, die SVP zu verteidigen.

Bärfuss nickte. Ja, das finde er auch seltsam.

© SZ vom 28.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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