Schmähgedicht-Eklat:Aus Mangel an Gewissheit

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Die Staatsanwaltschaft Mainz stellt das Strafverfahren gegen ZDF-Moderator Jan Böhmermann ein. Ganz ausgestanden ist die Sache aber noch nicht.

Von David Denk

Das "Schmähgedicht" von Jan Böhmermann auf den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan kommt nicht vor Gericht - zumindest nicht in Mainz. Die Ermittlungen gegen den ZDF-Satiriker sind eingestellt worden, wie die Staatsanwaltschaft in Mainz am Dienstag mitteilte. Strafbare Handlungen seien "nicht mit der erforderlichen Sicherheit nachzuweisen", heißt es in einer Pressemitteilung. Auch gebe es "keine hinreichenden Anhaltspunkte für strafbare Handlungen anderer an der Entstehung oder Ausstrahlung des Beitrages beteiligten Personen".

Mit dem erklärten Ziel zu verdeutlichen, was Satire in Deutschland darf und was nicht, hatte Böhmermann das Gedicht, in dem Sex mit Tieren thematisiert und Klischees über Türken transportiert werden, Ende März in seiner Late-Night-Show Neo Magazin Royale vorgetragen und damit einen politischen Eklat ausgelöst, von dessen Wucht der 35-Jährige selbst überrascht schien. Kanzlerin Merkel rügte Böhmermann, der bekam später Polizeischutz. Böhmermanns Anwalt Christian Schertz übte nun scharfe Kritik an Merkel. "Die juristische Bewertung der künstlerischen Arbeit von Herrn Böhmermann durch die Bundeskanzlerin" sei "einer öffentlichen Vorverurteilung" gleichgekommen, erklärte er.

Erdoğan persönlich hatte Strafantrag wegen Beleidigung gestellt. Wegen eines Strafverlangens der türkischen Regierung ermächtigte die Bundesregierung die Staatsanwaltschaft zudem zu Ermittlungen nach Paragraf 103 des Strafgesetzbuches, in dem es um die Beleidigung ausländischer Staatsoberhäupter geht - eine Entscheidung, die von Kritikern als Kotau vor dem wichtigen Bündnispartner Türkei gewertet wurde. Der Staatsanwaltschaft Mainz zufolge ist es auch nach Abschluss der Ermittlungen noch "fraglich, ob der objektive Tatbestand eines Beleidigungsdeliktes" erfüllt sei. Vorsätzliches Handeln lasse sich "nicht mit dem für eine strafgerichtliche Verurteilung erforderlichen Maß an Gewissheit erkennen".

Böhmermanns Verteidiger Daniel Krause begrüßte die Entscheidung, "die manche Befremdlichkeit in einer überhitzten Diskussion auf den Boden der Sachlichkeit zurückgeführt" habe. Erdoğans Anwalt Michael-Hubertus von Sprenger sagte der SZ, er sei "in hohem Maße erstaunt". Ganz ausgestanden ist der Fall damit noch nicht: Am 2. November wird am Landgericht Hamburg Erdoğans Privatklage gegen Böhmermann verhandelt.

© SZ vom 05.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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