Rezension:Freunde bis zum Ende

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Der Weihnachtsfilm: "Kästner und der kleine Dienstag" erzählt eine todtraurige, wahre Geschichte, die nicht ganz frei von klebrigen Sentimentalitäten ist.

Von David Denk

Man kann sich seine Fans nicht aussuchen. Diese Erfahrung macht auch Erich Kästner, der, obgleich nicht der größte Kinderfreund, 1929 mit seinem ersten Kinderbuch "Emil und die Detektive" auf Anhieb einen gewaltigen Bestseller landet und von Millionen jungen Lesern ins Herz geschlossen wird, auch von einem siebenjährigen Berliner namens Hans-Albrecht Löhr.

Seit dem Dreh 2015 in Wien hat der Film an Aktualität gewonnen

Der belässt es nicht bei stiller Verehrung, sondern schreibt Kästner einen Brief und sucht ihn selbst auf, um ihn als Autor für die Schülerzeitung zu gewinnen. Der Lebemann hält den Jungen auf Distanz, lässt ihn aber eines seiner Gedichte abschreiben, das nie erscheinen wird, weil dieser "ekelhafte, pazifistische Dreck" von einem Lehrer konfisziert wird. So glimpflich wären beide nach der Machtergreifung der Nazis sicher nicht davongekommen. Aber noch ist nicht zur Lawine geworden, was, wie Kästner nach 1945 diagnostiziert, als rollender Schneeball noch hätte zertreten werden können und müssen. "Die Lawine hält keiner mehr auf. Sie ruht erst, wenn sie alles unter sich begraben hat."

Kästner und der kleine Dienstag erzählt nach einer wahren Geschichte von der Freundschaft zwischen Kästner und Löhr, der 1931 die titelgebende Rolle in der ersten Verfilmung von "Emil und die Detektive" übernahm und wie der überwiegende Großteil des Kinderensembles den Zweiten Weltkrieg nicht überleben sollte. Es ist eine todtraurige Geschichte, die, seitdem Dorothee Schön ( Charité) 2004 mit der Arbeit am Drehbuch begann und der Film 2015 in Wien gedreht wurde, an Aktualität gewonnen hat. Hauptdarsteller Florian David Fitz erinnert sich, dass die AfD zur Zeit der Dreharbeiten "noch nicht so das Thema" gewesen sei. "Als ich den fertigen Film dann bei einer Vorführung in München zum ersten Mal gesehen habe, haben mich die Verbindungen, die ich plötzlich zur Gegenwart gezogen habe, so beschäftigt, dass ich erst mal nicht reden konnte."

Fitz, 43, bekannt geworden durch die RTL-Serie Doctor's Diary und Kinokomödien wie Männerherzen und Vincent will Meer, drängt sich optisch als Kästner-Darsteller nicht unbedingt auf, erweist sich aber als Glücksfall: zum einen weil seine Popularität das Filmprojekt offenbar erst ermöglicht hat, zum anderen weil er der Figur Vitalität, Ironie, Charme, aber auch Distanziertheit, Gebrochenheit und Zynismus zu verleihen vermag und dem Wesen Kästners so wohl doch ziemlich nahekommt. Man habe gar nicht erst versucht, "mir seine markanten Augenbrauen anzukleben oder mich sächseln zu lassen", sagt Fitz. Solche Oberflächlichkeiten interessierten auch niemanden, "vorausgesetzt, du tauchst glaubhaft in die Figur ein". Der Film verlässt sich aber zu wenig auf sein tolles Ensemble (Katharina Lorenz, Hans Löw, Martin Brambach, Arnfried Lerche, aber auch die Kinderdarsteller, allen voran Nico Ramon Kleemann als Löhr) und versucht die beunruhigenden politischen Entwicklungen mit unheilvoll dräuender Musik (Annette Focks) zu verstärken.

Der interessante Kniff am Drehbuch von Dorothee Schön besteht darin, das ein Junge, der Wörter wie "kolossal" und "knorkig" benutzt und auch sonst wirkt wie einem Kästner-Buch entsprungen, den zweifelnden, unter Berufsverbot zunehmend verzweifelnden Autor an seine eigenen Moralvorstellungen erinnert - eine Art personifiziertes schlechtes Gewissen: "'An allem Unfug, der passiert, sind nicht etwa nur die schuld, die ihn tun, sondern auch die, die ihn nicht verhindern' - wer hat das noch mal geschrieben?"

Auch wenn es Regisseur Wolfgang Murnberger nicht durchweg gelingt, die anrührende Geschichte vor klebrigen Sentimentalitäten zu bewahren, so ist Kästner und der kleine Dienstag doch ein schöner, weil doppelbödiger Weihnachtsfilm für die ganze Familie geworden. "Die Tragödie dieses Mannes dürfte den Erwachsenen aber mehr wehtun", sagt Hauptdarsteller Fitz, "Kinder realisieren ja gar nicht, wie weh das tut."

Kästner und der kleine Dienstag, ARD, 20.15 Uhr.

© SZ vom 21.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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