Reportage:Fürs Erste etwas wild

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Reporter Manuel Möglich beim Fetischismus-Test. (Foto: Andy Lehmann/Radio Bremen)

Die neue Reihe "Rabiat" will an die Schmerzgrenzen. Manuel Möglich und das Y-Kollektiv gehen es vorsichtig an.

Von Benedikt Frank

Reporter Manuel Möglich baumelt in einem Kreuzberger Wohnzimmer kompakt verschnürt von der Decke und schaut skeptisch. "Wollen Sie von mir wissen, warum ich diese Menschen treffe?", lautet der erste Satz seiner Reportage für Episode drei von Rabiat aus dem Off. Antwort: "Sie sind alle auf einer Fetisch-Plattform namens Fetlife registriert." Möglich nennt dieses Facebook für Sadomasochisten aber lieber "Netzwerk Pervers", deshalb ist das der Titel dieser Folge.

Die neue Reportagereihe, hinter der die kleinste ARD-Anstalt Radio Bremen steht, setzt auch sonst auf boulevardeske Schlagzeilen mit Folgen wie: "Drogenrepublik Deutschland", "Geld. Macht. Glück.", "Hass ist ihr Hobby" oder schließlich "Unter Pädophilen". Man pflegt den verständnisvollen Umgang mit Protagonisten, die selbstbewusst wirken, nicht wie Opfer eines Kameraüberfalls.

Die Distanz der Reporter darf so gering sein, dass sie eben auch mal gefesselt von der Decke hängen. Etwas Verruchtes hängt diesem Stil offenbar an, zumindest hält es Radio Bremen für nötig, die Moral seiner Reporter in der Pressemitteilung zu erläutern: "Öffentlich-rechtliche Werte hat das Team verinnerlicht, doch die Schmerzgrenze liegt woanders." Nimmt man zur Lagebestimmung dieser Grenze den Programmplatz der Sendung, dann liegt sie jenseits des polarisierenden Gezankes bei Frank Plasberg. Nach öffentlich-rechtlichem Maßstab ist das für ein Format mit jungem Personal ein sehr prominenter Platz. In den Jahren nach 2011 versteckte man das offensichtliche Vorbild der Reihe - Wild Germany, ebenfalls mit Manuel Möglich - noch im Nischensender ZDF Neo. Die ARD zeigt die sechs Teile jetzt immerhin noch kurz vor elf Uhr im Hauptprogramm, wo man theoretisch auch die durchschnittlich 62 Jahre alte Zuschauerschaft erreicht. Radio Bremen hatte durch seine Arbeit für das Jugendangebot Funk bereits die Youtube-Reporter des Y-Kollektivs an der Hand, die hinter Rabiat stehen. Der Anspruch sei, "sehr authentisch, nahbar und miterlebbar in Mikrokosmen vorzustoßen, die Rückschlüsse auf die Gesamtgesellschaft zulassen", und das sei als Programmfarbe nicht besonders häufig im deutschen Fernsehen, meint Radio-Bremen-Gesellschaftschef Thomas von Bötticher. Den Teil des Publikums, der die ihm im Ersten zugewiesene Zone an erwartbaren Programmen lange nicht verlassen hat, könnte das Format tatsächlich aus dem Fernsehsessel reißen. Wer bereits vor sieben Jahren mit Wild Germany seine Schmerzresistenz trainierte, wird von Rabiat kaum provoziert werden. Die Wild Germany-Produzenten, der deutsche Ableger des Magazins Vice, konnten von ihrem Publikum ein gewisses Szene-Grundwissen erwarten. Dazu gehörte unter anderem, dass man in Berlin ziemlich einfach illegale Drogen kaufen kann, was in der ersten Folge Rabiat überrascht entdeckt wird, so als müsse man das für das ARD-Publikum erst einmal etablieren. In Wild Germany war der Popjournalist Möglich noch das alleinige Gesicht, in Rabiat ist er heute fast ein alter Herr neben den anderen vom Y-Kollektiv. Auch das Reizthema der sexuellen Devianz geht man relativ vorsichtig an. Traf sich Möglich in der ersten Folge Wild Germany mit Männern, die sich absichtlich mit HIV infizieren, sind es nun quasi normale Fetischisten von nebenan.

Mit der Einschränkung "für das Erste" kann man Rabiat vielleicht wild nennen. Die Nahbarkeit, die man mit dem Format sucht, findet man aber eher in den 94 Kurzreportagen, die von Reportern und Reporterinnen des Y-Kollektivs auf Youtube stehen. Das Fernsehen bekommt eine längere entschärfte Variante davon, als zaghaften Versuch, der altersmäßigen Zuschauerausgrenzung etwas entgegenzusetzen.

Rabiat , Das Erste, montags 22.45 Uhr.

© SZ vom 30.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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