Reklame im Internet:"Hey, bist du eine Brand?"

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Posen für den ganz großen Durchbruch oder wenigstens die nächste Miete: Influencer auf der Inreach-Messe. (Foto: PR)

Mega nices Lippenserum und die Like-Dislike-Relation: Bei einer Messe in Berlin werben Unternehmen und Influencer umeinander.

Von Veronika Wulf

Schon im Treppenhaus posen sie vor Geländern und Wänden, der nächstbeste Spiegel wird für Selfie-Sessions in Beschlag genommen und bei den Vorträgen schaut ungefähr die Hälfte des Publikums in ihre Smartphones. Wahrscheinlich sind das gute Zeichen für eine Influencermesse. 550 Besucher sind zur Inreach am Freitag in Berlin gekommen, davon die Hälfte Influencer, also Menschen, die auf Social-Media-Plattformen wie Youtube oder Instagram scheinbar aus ihrem Leben erzählen und dabei scheinbar nebenher Produkte bewerben. Die andere Hälfte kommt von Agenturen oder von Marken, die hier konsequent "Brands" genannt werden. Natürlich heißen auch die Redebeiträge nicht Vorträge, sondern "Talks". Und es werden keine Kontakte geknüpft, sondern es wird "connectet" für mögliche "Influencer Relations". Es geht um Klicks und Traffic, um Reactions und Insights, um Fake Follower und die Like-Dislike-Relation.

Die Inreach bringt als eine der wenigen Messen in Deutschland Unternehmen und Influencer zusammen. Die Berliner Marketingagentur Brandpunkt veranstaltet sie seit drei Jahren, sogenanntes InfluencerMarketing gibt es schon einige Jahre länger. Dennoch wird die Zusammenarbeit häufig noch wie eine Teenagerliebe angebahnt: Man findet sich wahnsinnig interessant, weiß aber noch nicht so richtig, wie man es angehen soll. Auch dabei soll die Messe helfen.

"Die verkaufen Brillen, ich trage eine Brille - das ist ja schon mal der erste Fit", sagt eine Bloggerin

Etwa ein halbes Dutzend Unternehmen hat seine Stände im Bolle-Festsaal in Berlin-Moabit aufgebaut. Dazwischen sprechen Influencer und Firmenvertreter in kleinen Grüppchen an Stehtischen, es gibt Limo und Salat in Pappschüsseln. Die wenigen über 40-Jährigen wirken ähnlich deplatziert wie Eltern auf der Party ihrer 16-jährigen Tochter. "Hey, bist du eine Brand?", fragt eine junge Frau einen jungen Mann. Man muss erst noch herausfinden, wer hier am besten mit wem "connectet".

Der Anbieter eines Chauffeur-Services drückt Influencern Rabattgutscheine in die Hand, in der Hoffnung, dass der Unternehmensname mal in einem Beitrag auf Instagram auftaucht. "Wir holen euch vom Flughafen ab, im Anzug und mit Schild in der Hand, und ihr müsst euch um nichts mehr kümmern", sagt er. "Das klingt ja mega entspannt", sagt eine Influencerin. Auch das neue Lippenserum einer Pflegemarke findet eine junge Frau "mega nice".

Zwei Influencerinnen kommen gerade vom Stand eines Online-Optikers. "Die verkaufen Brillen, ich trage eine Brille - das ist ja schon mal der erste Fit", sagt Eileen Primus, 28, die ein "Lifestyle-Blog" betreibt. Man tauscht Visitenkarten aus und zieht weiter. "Hier in Deutschland geht das alles noch sehr langsam", sagt Alexandra Winzer, 27, platinblonde Haare und Kleid mit Leo-Muster, ebenfalls Lifestyle-Bloggerin. Die Kooperationen seien oft auf eine sehr kurze Zeit oder ein einzelnes Produkt beschränkt. "Das läuft überall schon besser als hier, vor allem in den USA und in Skandinavien." Eileen Primus pflichtet ihr bei: "Es gibt immer noch viele Brands, die denken, es reiche, ein Produkt zur Verfügung zu stellen. Aber mit einer Brille kann ich meine Miete nicht bezahlen."

Konkrete Absprachen für Kooperationen seien heute nicht das Ziel, sagen Unternehmer wie Influencer. Man wolle sich erst mal "Face-to-Face" kennenlernen, "Input" sammeln und die eigene "Brand" oder das eigene Profil "promoten". Auch über konkrete Zahlen wird wenig gesprochen. Bei den Unternehmen klingt das dann zum Beispiel so: "Unser Mediabudget ist sehr, sehr, sehr, sehr klein", oder: "Bei uns ist das nicht fix, ob und wie viel Geld wir bezahlen". Und bei den Influencern sind die beiden wichtigsten Kategorien erst einmal: "Ich kann davon leben" und "Ich kann noch nicht davon leben".

Viele der Influencer sprechen von ihrer "Lovebrand", die sie gerne präsentieren würden, also die Marke, die ihnen auch als Privatperson gefällt. Der Youtuber Aaron Troschke, der mehr als 900 000 Abonnenten hat und bereits mit einigen Marken zusammengearbeitet hat, nimmt einigen die Illusion. Das sei "ganz, ganz selten". Das Paradoxe: Im Grunde sollen Influencer ja jede Marke als ihre "Lovebrand" präsentieren, als eine persönliche Empfehlung. Wenn ein Beitrag nicht ausreichend als Werbung markiert wird, kann das schnell zu rechtlichen Problemen führen.

Dieses Thema wird auch auf der Messe nicht ausgeklammert. Der Medienanwalt Stefan Engels erklärt, wie man einen Vertrag mit einem Unternehmen aufsetzt, was zu tun ist, wenn man verklagt wird und dass man den Hashtag #ad oder #werbung nicht inmitten von anderen Hashtags verstecken soll. Aber er sagt auch: "In der Grauzone macht es Spaß." Die Direktorin der Landesmedienanstalt Bremen, Cornelia Holsten, ist da anderer Meinung. Man solle ein Produkt lieber einmal mehr als Werbung kennzeichnen, auch wenn man nicht dafür bezahlt werde. "Wer ist jetzt verunsichert?", fragt der Moderator anschließend. Dutzende Hände gehen hoch.

Viele Influencer haben den Raum da schon verlassen. Sie warten lieber, bis die Bühne wieder frei ist, um Fotos vor dem hüfthohen Messeschriftzug zu knipsen. Der oberste Balken des Buchstaben "E" ist inzwischen abgebrochen. Eine Influencerin hat sich beim Posen darauf gestützt.

© SZ vom 22.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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