Radiofeature:Große Sehnsucht

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Manche sind angekommen, manche suchen noch, andere gehen wieder: Geflüchtete beziehen in "Traumland" offen Stellung zu Deutschland.

Von Maresa Sedlmeir

Als sie zum ersten Mal in einem deutschen Park saß, achtete sie panisch darauf, bloß keine Ameisen zu zertreten. "Niemand soll töten, nicht hier, nicht dort", sagt Afraa Batous, eine syrische Filmemacherin. Im Jahr 2016 ist sie über Libanon nach Deutschland gekommen.

Batous ist eine Protagonistin in Traumland. Deutschland mit fremden Augen gesehen, einem Feature von Markus Metz und Georg Seeßlen für den Deutschlandfunk. Sie verschaffen vielen Menschen Gehör: Menschen aus Afghanistan, Syrien, Nigeria. Menschen, die eine Arbeit gefunden haben und sich wohlfühlen. Aber auch denen, die nach mehreren Jahren in Deutschland wieder zurückgehen in ihre Heimat. Und auch denen, die nicht genau wissen, wo sie hingehören, die keine Aufenthaltsgenehmigung haben und trotzdem versuchen, sich hier zurechtzufinden.

Der Journalist Fady Jomar zum Beispiel. Er kommt aus Damaskus und lebt mittlerweile in Berlin. Sein Text Hab keine Angst, du bist kein Fremder ist auf dem Portal wdrforyou.de erschienen. Eine Plattform des öffentlich-rechtlichen WDR, ein virtueller Raum für Geflüchtete, in dem sie ihre Werke veröffentlichen können. Den akustischen Raum geben ihnen Markus Metz und Georg Seeßlen. Sie lassen die Geflüchteten zu Wort kommen, auf Deutsch, Englisch und Arabisch. Die Macher diskutieren weder, noch bewerten sie. Sie lassen die Aussagen der Protagonisten für sich sprechen, die von liebevollen Anekdoten bis zu Horrorszenarien reichen. Das Erzählte braucht keinerlei Einordnung, es wird ohnehin klar: Deutschland ist in vielen Bereichen kein Traumland. Die große Stärke dieses Stücks: unterschiedliche Wahrnehmungen zu beleuchten, die mal traumhaft, mal albtraumhaft oder irgendwo dazwischen sind - was das Feature unmittelbar macht.

Außerdem sehen sich Seeßlen und Metz noch eine andere Seite an: die der Tourismuswerbung, für die Deutschland hoch im Kurs liegt. In China, Saudi-Arabien und Delhi wird vor allem mit der Sicherheit, den Sehenswürdigkeiten und den Schlössern geworben. Vieles davon hat man schon einmal gehört; es amüsiert dennoch, wenn man über München hört, man könne in "Outdoor Restaurants" sein eigenes Essen mitbringen. "Outdoor-Restaurant" - das hört sich natürlich viel kosmopolitischer und internationaler an als der schnöde Biergarten.

Im Feature werden die banalen Verkaufsstrategien (München, der perfekte Flitterwochen-Hotspot, und nur fünf bis sechs Flugstunden von Dubai entfernt!) und die Erzählungen der Geflüchteten elegant miteinander verwoben. Verknüpfende Elemente sind eine Art arabischer Jodelgesang, Rapmusik und selbstgeschriebene Texte der Geflüchteten, die alle von einer großen Sehnsucht berichten. Wenn Fady Jomar in seinem Gedicht Hab keine Angst, du bist kein Fremder von der "konzentrierten Fremdheit" in Berlin spricht - und damit der Stadt die Liebeserklärung macht, sie sei die Kombination aller Hauptstädte der Welt -, hat man kurz eine Ahnung, wie schwierig es sein muss, sich in der Fremde zu Hause zu fühlen, wo man sich eigentlich gar nicht zu Hause fühlen wollte. Oder Afraa Batous, die erzählt, wie sie Heiner Müllers Hamletmaschine auf einem Bürgersteig in Aleppo fand, das Theaterstück daraufhin inszenierte und jetzt sagt: "Ich lebe das, das ist nicht nur ein Text."

Und die Einheimischen? Die gibt es in Traumland nur anonym und generalisiert. Seeßlen und Metz zitieren das Auswärtige Amt, das mit seinen "Facts for Migrants" vor Illusionen warnt. Die spannendsten Beobachtungen kommen gleichwohl von den Protagonisten. Ein junger Mann erzählt, dass er spontan eine Runde Fußball spielen wollte - unmöglich in Deutschland. Seine Freunde rieten ihm zu einem Fußballverein. "Die Deutschen haben Vereine für alles. Sogar fürs Kuchenessen." Das wäre doch mal eine Idee.

Traumland. Deutschland mit fremden Augen gesehen , DLF, Freitag, 20.10 Uhr.

© SZ vom 09.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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