Porträt:Seine königliche Hoheit

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Ob "The Queen" oder, wie jetzt wieder, "The Crown": Das Leben von Elizabeth II. bestimmt das Schaffen des britischen Drehbuchautors Peter Morgan. Für den Brexit findet er ein historisches Vorbild.

Von Alexander Menden

Natürlich kommt Peter Morgan irgendwann auf den Brexit zu sprechen, auf das Regierungschaos, das er in Großbritannien ausgelöst hat. Und natürlich ist der Blickwinkel, aus dem der Drehbuchautor von The Crown dieses Chaos betrachtet, vom Kernthema seiner opulenten Netflix-Serie mitgeprägt: "Es ist sehr schwer, eine Monarchie als System zu rechtfertigen", sagt Morgan. "Ein unfaires und absurdes System. Aber im Moment tun sehr viele Menschen im Namen der Demokratie unglaublich dumme Dinge. Eins der Vergehen unserer gewählten Volksvertreter ist es doch, dass die Monarchie plötzlich gar nicht mehr so unattraktiv wirkt. Die Zustimmungswerte der Queen liegen weit über denen jeder demokratisch legitimierten Figur!"

Die Queen ist nicht nur die bedeutendste Konstante der britischen Politik seit den Fünfzigerjahren, sondern seit mehr als einem Jahrzehnt auch die dominante Figur in Peter Morgans Schaffen. Dabei ist der 54-Jährige beileibe kein Royalist; das klarzustellen ist ihm wichtig. "Aber", schiebt er sofort hinter, "ich bin ein leidenschaftlicher Elisabethaner!" Die Queen sei einmalig, und ihre Leistung, nie einen Fehler zu machen, so einflussreich und sichtbar, und zugleich so zurückgezogen, neutral und unlesbar zu sein, "ein fast übermenschlicher Balanceakt: Sie ist das perfekte Staatsoberhaupt", glaubt Morgan. "Jeder Staat der Welt würde einiges opfern, um so jemanden als Staatsoberhaupt zu haben."

"The Crown" wird auch dadurch spannend, dass man sich oft fragt: Ist das wirklich passiert?

Diese Bewunderung erklärt wohl auch, dass Peter Morgan seit Stunden in einer Londoner Hotelsuite sitzt und über das mittlerweile dritte - und ambitionierteste - von ihm mitverantwortete Projekt spricht, in dessen Zentrum Elizabeth II. steht. In The Crown, deren zweite Staffel man jetzt bei Netflix sehen kann, nimmt der Autor sich, nach dem Oscar-nominierten Drehbuch zu Stephen Frears' Film The Queen und dem Theaterstück "The Audience", der gesamten Regierungszeit der Monarchin an. Auch diesmal spielt Claire Foy die Hauptrolle mit genau der richtigen Mischung aus Distanz und Menschlichkeit.

Dabei räumt Peter Morgan ein, dass Elizabeth II. keineswegs die ideale Protagonistin für eine Fernsehserie sei: "Weder ist sie besonders fantasiebegabt, noch neigt sie zu emotionalen Ausbrüchen, und zu ihren wichtigsten Eigenschaften zählen Verlässlichkeit und die Fähigkeit, sich zu keinem Thema öffentlich zu äußern." Das sei perfekt für ihre Rolle im wahren Leben, aber für ein Fernsehdrama hätte man doch lieber eine Figur wie Tony Soprano, oder, um bei englischen Monarchen zu bleiben, Heinrich VIII. "Solche Menschen sind immer plausibel - mitfühlend, grausam, intelligent, impulsiv - das wäre alles legitim. Bei Elizabeth II. ist das, was glaubhaft ist, relativ überschaubar."

Gerade diese Begrenztheit habe er aber letztlich interessant gefunden: "Sie befindet sich in einem konstanten Prozess, in dem sie sich darüber klar werden muss, wo die Grenze zwischen ihr als Mensch und als Elisabeth Regina verläuft, der Rolle, die sie seit so vielen Jahrzehnten ausfüllt. Wer trifft die Entscheidungen: der Mensch oder der Monarch?" Er habe sie in eine Art Babuschka-Puppe verwandeln müssen, bei der eine Persönlichkeit die andere überlagert.

Distanz und Menschlichkeit: Claire Foy als Queen Elizabeth II. auf einer Reise nach Ghana. (Foto: Left Bank Pictures & Netflix, Moonlighting Films, Coco Van Oppens)

Nun täte man Peter Morgan unrecht, würde man ihn auf den elisabethanischen Anteil seines Oeuvres reduzieren. Als Autor hat er die Nische des semifiktionalen Gipfeltreffens geprägt: Im Fernsehfilm Longford erzählte er von der komplexen Beziehung zwischen dem naiven Politiker Lord Longford und der Serienmörderin Myra Hindley; im Fußballdrama The Damned United prallten die Trainer Brian Clough and Don Revie aufeinander; in Rush stand die Formel-1-Rivalität zwischen den Rennfahrern James Hunt und Niki Lauda im Zentrum. The Queen konzentrierte sich zwar auf die Monarchin - aber ihr Verhältnis zu Tony Blair (einer weiteren Figur, zu der Morgan immer wieder zurückgekehrt ist) gab dem Film sein erzählerisches Rückgrat. The Crown hingegen kann in den bislang 20 Folgen den Blickwinkel erweitern, ein komplexeres Beziehungsgeflecht zwischen einer größeren Anzahl von Figuren entwickeln.

Die Grenzen zwischen Realität und Fiktion sind nicht immer klar; The Crown wird auch dadurch spannend, dass Zuschauer, die nicht alle Details der britischen Nachkriegsgeschichte im Kopf haben, sich beständig fragen: Ist das wirklich passiert? In einer Szene der neuen Staffel etwa besucht der britische Premierminister Harold Macmillan eine Comedy-Show, und wird dort vom berüchtigten Politiker-Imitator Peter Cook nach Strich und Faden vorgeführt. Eine Szene zum Fremdschämen - wer würde sich freiwillig einer solchen öffentlichen Demütigung unterziehen?

"Das ist wirklich passiert", sagt Peter Morgan, "ich denke mir nichts aus!" - um dann einzuschränken: "Wo sie sind und was sie tun, folgt der tatsächlichen Geschichte. Was sie denken und fühlen, muss ich mir ausdenken - das erzählen sie mir natürlich nicht." Nach seiner Erfahrung würde es ohnehin nicht viel helfen, wenn er Augenzeugen zu ihren Erinnerungen befragen würde. Bei Recherchen für Frost/ Nixon, einem später verfilmten Theaterstück über ein Fernsehinterview, das der Brite David Frost mit dem ehemaligen US-Präsidenten Richard Nixon führte, sprach er mit vielen Zeitgenossen. "Sie alle waren wochenlang im selben Raum gewesen", sagt Morgan. "Und all ihre Versionen derselben Begebenheit variierten dermaßen, als seien es völlig unterschiedliche Ereignisse gewesen."

Um als Drama zu funktionieren, müssen ohnehin vor allem die Handlungsstränge in sich stimmig sein. The Crown wechselt gekonnt zwischen den privaten Verwerfungen, die innerhalb der Familie Windsor auftreten, und den Umwälzungen und Skandalen der Sechzigerjahre, wie der Profumo-Affäre. Die Gefahr, dass manchmal eher mäßig spannende Ereignisse wie die Mini-Ehekrisen zwischen Elizabeth und ihrem Mann Philip im Vergleich zu den großen Fragen der Epoche verblassen könnten, sieht Morgan nicht: "So, wie die Royals leben, lebt sonst niemand. Wenn die Queen ein Kind gebiert, steht das ganze Kabinett auf und betet. Sie ist der Fokussierungspunkt dieses Grundbedürfnisses, eine Person völlig unverhältnismäßig zu verehren, sei es religiös oder irdisch."

Die Mutterrolle der Queen interessierte ihn schon 2006: "Für The Crown sah ich sie als junge Frau, es ist mehr das Porträt einer Ehe. Aber als ich The Queen schrieb, war sie vor allem eine Mutterfigur - sie wurde sogar im selben Jahr geboren wie meine eigene Mutter."

Morgans Mutter, eine polnische Katholikin, war vor den Sowjets nach England geflohen. Sein Vater, ein deutscher Jude, war 1933 als Flüchtling nach London gekommen. Als in London geborener Sohn europäischer Immigranten sieht er das Wegdriften Großbritanniens von Europa als "absolute Katastrophe". Beim Schreiben der Drehbücher zu The Crown komme er nicht umhin, die Ähnlichkeiten zu his-torischen politischen Desastern wahrzunehmen: "Die Suez-Krise und Brexit weisen viele Parallelen auf", sagt er. "Beide waren ein Akt zerstörerischer Regierungspolitik, eingeleitet von Premierministern, die vollkommen verantwortungslos agierten."

Die Idee, die Queen könnte ein heimlicher EU-Fan sein, hält Morgan indes für lachhaft. "Der blaue Hut mit den gelben Blumen, den sie bei der Queen's Speech aufhatte und in den so viel hineingeheimnisst wurde, hatte keine Bedeutung", sagt er. "De Gaulle hat immer gesagt: Warum sollten wir die Briten in die Europäische Gemeinschaft aufnehmen - sie haben doch ihr Commonwealth, eine internationale Allianz - sie werden nie wirklich der EG angehören. Erstaunlicherweise deckt sich das mit der Haltung der Queen, für die das Commonwealth zentrale Bedeutung hat."

Wenn die Queen stirbt? Dann wird er sich verstecken, damit er sich nicht äußern muss

So lange Elizabeth Staatsoberhaupt sei, könnten die Briten als Volk keine überzeugten Europäer sein, glaubt Morgan: "Das Commonwealth wird erst endgültig in der Bedeutungslosigkeit verschwinden, wenn die Queen stirbt. Sobald die Briten von dieser Komplikation befreit sind, werden sie sich auch mehr als Europäer fühlen können." Und wie werden die Briten reagieren, wenn die Queen stirbt? "Dann", sagt Peter Morgan, "wird es eine völlig unverhältnismäßige weltweite Trauer-Orgie geben und ich werde mich irgendwo verstecken, damit ich mich nicht äußern muss."

The Crown wird er so lange erhalten bleiben, wie die Produktion auf dem exzellenten Niveau bleibt, auf dem sie sich jetzt bewegt. Eines sei jedenfalls sicher, sagt Peter Morgan: "Es wird mein letztes Queen-Projekt sein."

The Crown , bei Netflix.

© SZ vom 09.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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