Porträt:Schwäbisch Noir

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Ulrike C. Tscharre begann ihre Karriere in der "Lindenstraße". Heute gehört sie zu den markantesten Darstellerinnen des Qualitätsfernsehens. In "Die Konfirmation" spielt sie eine ungläubige Mutter.

Von David Denk

Zu den ungeschriebenen Gesetzen für Heranwachsende im schwäbischen Bempflingen, Landkreis Esslingen, gehört zweierlei: Man tritt nicht aus der Kirche aus und man wird ganz sicher nicht Schauspieler. Ulrike C. Tscharre hat beides getan und erinnert sich gut an die Überwindung, die es sie gekostet hat, das ihren Eltern zu erzählen. Zu "beichten" wäre treffender - wenn Bempflingen nicht evangelisch wäre und Tscharre von Haus aus auch.

In Die Konfirmation fließt nun beides zusammen: Unter der Regie von Familienfilm-Spezialist Stefan Krohmer spielt Tscharre eine Mutter, die sich nur schwer damit anfreunden kann, dass ihr Sohn sich konfirmieren lassen möchte. Als sie erfährt, dass Ben (Tim Litwinschuh) sich heimlich hat taufen lassen, ist ihre erste Reaktion totale Abwehr: Von mir hat der Junge das nicht! Und Stiefvater Felix (Ben Braun) würde ihn sofort auf einen Selbstfindungstrip nach Nepal begleiten - aber in die Kirche? "Ich glaube, dass sich in dieser Haltung viele Leute wiederfinden können", sagt Ulrike C. Tscharre. "Glaube gilt ja heutzutage als eher überkommen, zumindest nicht als hip oder schick."

Zum Vorsprechen traute sich Tscharre erst, als sie schon zu alt war für die renommierten Schulen

Krohmer und Drehbuchautorin Beate Langmaack erzählen davon zum Glück nicht mit dem Problemfilm-Holzhammer, sondern wohltuend beiläufig, als alltägliche Geschichte aus dem Leben einer Großstadt-Patchwork-Familie. So kann Tscharre die Gewissensnöte ihrer Figur gut nachvollziehen: "Ich würde mir wünschen, verständnisvoll zu reagieren, wenn mein Sohn oder meine Tochter mit diesem Wunsch nach Hause kämen; wie ich tatsächlich reagieren würde, weiß ich nicht."

Während Ulrike C. Tscharre - das "C" steht für Claudia - im Berliner Café Einstein sitzt und über Die Konfirmation spricht, macht unter dem Tisch immer wieder Hündin Finja, ihre neue Mitbewohnerin, auf sich aufmerksam. Es ist schon der zweite Versuch eines Interviews mit Tscharre. Gegen die atmosphärischen Störungen im ersten Anlauf ist die bellende Finja ein Klacks, hatte sich das Gespräch damals doch nicht mehr von der im Rückblick natürlich ungeschickten Einstiegsfrage erholt, was man aus der L indenstraße für den Schauspielerberuf lernen kann. Im ARD-Dauerbrenner - ein geschlossenes System, aus dem nur wenige Schauspieler wieder herausfinden - spielte sie von 2001 bis 2006 die Rolle der Marion Beimer. "Für mich war das eine Arbeit wie viele andere auch", sagte Tscharre und sprach über das in Deutschland weitverbreitete "Bedürfnis nach Schubladen, in die man Leute einsortieren kann". Aber nicht gern. Ihre Antworten waren kurz und unwillig.

Seit Regisseur Dominik Graf sie für seine Serie Im Angesicht des Verbrechens besetzte, hat sich Tscharre zu einer der markantesten Charakterdarstellerinnen im deutschen Fernsehen entwickelt - und es ist keine Koketterie, wenn sie sagt, dass sie damit selbst nicht gerechnet hätte: "Ich habe beruflich schon viel mehr erreicht, als ich je zu träumen gewagt hätte."

Erst mit Mitte 20, als sie schon zu alt war für eine der renommierten staatlichen Schauspielschulen, hat sich die heute 45-Jährige zum Vorsprechen getraut: "Das Spielen war mir zu wichtig, um es mein Hobby sein zu lassen." Sie wurde genommen, verließ das private Institut in Ulm aber nach zwei Jahren schon wieder. Sie wollte handfeste Dinge lernen. Also spielte sie in Theaterproduktionen mit, wie eigentlich ständig seit ihrem 16. Lebensjahr, sowie in Studentenfilmen und übernahm relativ schnell auch eine Hauptrolle in der ARD-Vorabendserie Ina & Leo, die zu ihrem Pech aber erst mal im Archiv landete.

"Mir war klar: Auf mich wartet keiner", sagt Tscharre. Ihr war immer klar, dass sie auf Regisseure angewiesen ist, die etwas in ihr sehen. Was das sein könnte, darüber macht sie sich ungern Gedanken: "Jetzt muss ich meine eigenen Schubladen aufmachen", sagt sie. Und dann: "Ich glaube, dass ich eine relativ gute Mischung habe zwischen einer guten Leichtigkeit und einer tiefen Tiefe." Man könnte auch sagen: Tscharre hat ein Geheimnis, eine unveräußerliche Anziehungskraft, der man sich als Zuschauer nicht entziehen kann und will. Sie schafft es, bodenständig und rätselhaft zugleich zu sein. Schwäbisch Noir. Sie ist in der Lage, Filmen eine zweite Ebene zu verleihen, einen unterschwelligen Zauber. Das ist im deutschen Fernsehen - vorsichtig ausgedrückt - nicht die Regel.

Der Regisseur Stephan Wagner hat mit Ulrike C. Tscharre die Fernsehfilme Lösegeld und Mord in Eberswalde gedreht und gehört zu ihren Fans: "Eine Frau, in die man sich aufgrund ihres Spiels und ihrer Präsenz als Zuschauer am Bildschirm oder auf der großen Leinwand verlieben muss, ist entweder bereits ein Star oder sie hat das Zeug dazu", sagt er. Nur so ein Verdacht: Wäre Tscharre ein Mann, wäre sie das wohl längst, ein Star des Qualitätsfernsehens wie Matthias Brandt.

Neulich hörte sie, ein Kollege hätte auf Drogen eine Szene gespielt. Für Tscharre ist das "wie Betrug"

Für ihre Rolle in Dominik Grafs Zielfahnder - Flucht in die Karpaten hat Ulrike C. Tscharre in diesem Jahr ihre erste Auszeichnung bekommen - und sich über den "Sonderpreis für herausragende Einzelleistungen" beim Deutschen Fernsehkrimi-Festival gefreut wie über einen Oscar. Wertschätzung ist ihr ungemein wichtig, Personenkult hingegen bedeutet ihr nichts. "Als ich beschlossen habe, Schauspielerin zu werden, bin ich oft gefragt worden: Willst du berühmt werden?", erzählt sie. "Wollte ich nie. Mein Ziel war immer, dass die Leute in der Branche, die tolle Arbeit machen, wissen, wer ich bin und gern mit mir arbeiten würden."

Dieses Ziel hat Tscharre erreicht, einerseits. Andererseits sind immer noch genügend Regisseure übrig, mit denen sie bisher nicht gearbeitet hat. Ehrgeiz und Neugierde treiben sie an; den Status quo zu genießen, kommt nicht in Frage: "Wenn du dich als Schauspielerin mit irgendwas zufriedengibst, dann kannst du nach Hause gehen." Wenn es um ihre Arbeit geht, ist Ulrike C. Tscharre unersättlich.

Tscharre macht es sich selbst nicht leicht und kann es nicht ausstehen, wenn andere das tun. Als ihr neulich ein Regisseur begeistert davon erzählt hat, wie ein Kollege vollgekokst eine Szene "gerockt" hat, ist ihr der Kragen geplatzt: "Das ist für mich wie Betrug." Der "Fake-Modus" ist ihr suspekt: "Ab dem 'Bitte!' versuche ich, nicht zu spielen, sondern zu sein." Und wenn das mal nicht klappt? "Dann muss ich versuchen, so zu tun, als ob - nicht gerade meine Spezialität." Tscharre ist eine Schauspielerin, die ihre Grenzen kennt und akzeptiert. Wenn man alles, was man tut, richtig machen will, kann man nicht alles können. Davon ist sie überzeugt.

Auf Anraten des Regisseurs Matti Geschonneck wählt Tscharre ihre Rollen mittlerweile strategischer aus: Stand für sie lange die Figur im Mittelpunkt, ist nun das Gesamtpaket aus Regisseur, Buch und Kollegen ausschlaggebend. "Ich kann meine Rolle noch so schön spielen; wenn den Film nachher keiner sieht, war die Arbeit für die Katz", sagt Tscharre. Auch ihre Agenten hat sie gewechselt. Da geht noch was, da muss noch was gehen: "Ich habe noch nicht den Platz gefunden, den ich gern hätte."

Für ein Mädchen aus Bempflingen hat Ulrike C. Tscharre es verdammt weit gebracht - für sich selbst noch nicht weit genug.

Die Konfirmation , ARD, 20.15 Uhr.

© SZ vom 16.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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