Porträt:Raus aus der Sackgasse

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Kopfgesteuert: Antje Traue in „Dead End“. (Foto: Carolin Ubl/ZDF)

Die Schauspielerin Antje Traue hat einiges in Hollywood gelernt - auch, wie man sich selbst befreit. In der ZDF-Neo-Serie "Dead End" überzeugt sie als störrische Gerichtsmedizinerin.

Von David Denk

Die Cowboystiefel gehören nicht hierher, genauso wenig wie die Frau, die in ihnen diesen spärlich beleuchteten Bahnsteig betritt. Dabei stammt sie von hier, aus der dunkelsten brandenburgischen Provinz, doch vermisst hat sie niemand in Mittenwalde - allenfalls ihr Vater Peter (Michael Gwisdek), der örtliche Leichenbeschauer. Doch auch zu ihm ist das Verhältnis distanziert. Trotzdem ist Emma plötzlich wieder da, zurück aus den USA, wo das "Leichenmädchen" - der Apfel fällt nicht weit vom Stamm - selbst Gerichtsmedizinerin wurde. Der 75. Geburtstag ihres Vaters ist nicht der einzige Grund für diese Rückkehr, wie in den sechs Folgen der neuen ZDF-Neo-Serie Dead End allmählich klar wird.

Im Superman-Blockbuster "Man of Steel" spielte sie die düstere Kämpferin Faora-Ul

Antje Traue spielt diese Emma als in sich verkapselte Einzelgängerin. "Sie ist ja eine Antiheldin, niemand, den man auf Anhieb mag", sagt Traue. Gerade dieses Sperrige, beinahe Autistische hat sie an der Figur gereizt: "Ich habe ein Herz für Nerds." Traue, die in ihrer Jugend Turnerin war, gilt als sehr körperbewusste Schauspielerin. Emma sei "gar nicht richtig in Kontakt mit sich und ihrem Körper". "Sie ist sehr vom Kopf gesteuert und steht sich damit oft selbst im Weg."

Das ist das Besondere an dieser Rolle und hat den Reiz für die 37-Jährige ausgemacht: dass sie Traue so fremd ist - und zugleich so nah. Denn sie kennt das Gefühl nur allzu gut, nicht dazuzugehören, eine Außenseiterin zu sein. Als sie 1995 im Alter von 14 Jahren aus Sachsen-Anhalt nach München zog, war sie das "Ostmädchen", die mit den komischen Klamotten. "Ich war immer jemand, der viel mit sich alleine war", sagt sie. In gewisser Weise hat sich dieses Gefühl Jahre später wiederholt, als sie - noch so eine Parallele zur Figur Emma - aus den USA nach Deutschland zurückgekehrt ist, oder besser: nicht aus den USA, aus Hollywood. "Da habe ich Gegenwind abbekommen, weil ich Erfahrungen gemacht hatte, die manche mir neiden. Ich sehe das in den Augen, ich bin ja sensibel." Das Gespräch aber hat kaum jemand mit ihr gesucht, das hat sie gekränkt. "Ich kann es nicht ändern", sagt sie fast bedauernd, "das ist mein Weg."

Mit "das" meint sie etwa ihre Rolle in Zack Snyders Superman-Blockbuster Man of Steel, in dem sie die düstere Kämpferin Faora-Ul spielt, die Gegenspielerin des Superhelden. Hollywood war für Traue eine Befreiung. Endlich war ihre herbe, geheimnisvolle Erscheinung, die nicht so recht in deutsche Rollenprofile passen wollte, kein Makel mehr, sondern eine Stärke. "Dieses amerikanische Prinzip, das Schöne aus dir herauszuholen und nicht den Fehler an dir zu suchen, das hat mir sehr geholfen." In der Arbeit habe sie sich in den USA "von Anfang an wohlgefühlt", sagt Traue.

Dennoch hat Traue ihre Wohnung in Berlin nie aufgegeben und vor gut drei Jahren ihren Lebensmittelpunkt wieder nach Deutschland verlegt. Arbeit ist schließlich nicht alles, und in Prenzlauer Berg fühlt sie sich heimisch. Plötzlich kam auch hierzulande die Anerkennung, sie spielte in der Mystery-Miniserie Weinberg, im TV-Drama Der Fall Barschel, in der ersten deutschen Netflix-Produktion Dark. "Die Bereitschaft, andere Typen, andere Gesichter zu besetzen, ist durch die Verbindung zum internationalen Markt größer geworden", sagt Traue.

Je länger sie wieder da ist, desto leiser wird das Getuschel der Neider. Warum? "Neid ist irgendwas stark Deutsches", sagt sie, "ich kann es gar nicht erklären." Traue hat die Erfahrung gemacht, dass Filmemacher im Ausland anders aufeinander zugehen, "mit einer größeren Offenheit und Freude". Deswegen will sie es sich nicht nehmen lassen, weiter im Ausland zu drehen - zum Glück muss man zu Castings heutzutage nicht mehr extra anreisen, sondern kann auch ein Video hinschicken. Manchmal fehlt ihr der persönliche Kontakt, das unmittelbare Feedback, aber praktisch ist es schon.

Antje Traue dreht auch in Deutschland Kinofilme, hat aber mindestens ebenso große Freude daran, "Charaktere in etwas experimentelleren Kontexten darzustellen". Bei Dead End war die Herausforderung, "dass man sich über 45 Drehtage hinweg menschlich und kreativ versteht". Da die Geschichte sich erst langsam entblättert, hofft Traue, "dass die Zuschauer durchhalten bis zu Folge 3 oder 4." Und in der Tat ist es eine Hypothek für die Serie, dass die horizontale Erzählebene viel Anlaufzeit braucht, in der sich der Zuschauer mit den von Emma und ihrem Vater zu lösenden skurrilen Kriminalfällen - einer pro Folge - begnügen muss. Mal hängt ein Gleitschirmflieger tot im Baum und ist kurz darauf wie vom Erdboden verschluckt, mal bricht die Schneewittchen-Darstellerin bei einer Vorstellung der örtlichen Theatergruppe auf der Bühne tot zusammen. Es wird ganz schön viel gestorben in Mittenwalde - deutlich zu viel für Bürgermeister Lars Herbst (Fabian Busch) und Polizeikommissar Michael Schubert (Lars Rudolph), die Emma argwöhnisch beäugen. Eine Verbündete findet sie in der neuen Dorfpolizistin Betti Steiner (Victoria Schulz). Diesen Figuren gönnen die Drehbücher von Magdalena Grazewicz, Thomas Gerhold und Christopher Schier (auch Regie) ihre eigene Nebenhandlung und eine gewisse Tiefe. Das Ensemble revanchiert sich mit einem schauspielerischen Niveau weit über dem anderer ZDF-Serien.

"Je mehr ich mich von Ängsten befreie, desto breiter wird mein Spielfeld"

Fragt man Traue, wie zufrieden sie selbst mit dem Ergebnis ist, sagt sie: "Es ist etwas Eigenständiges geworden." Klingt distanziert, doch sie schiebt gleich hinterher, dass es ihr immer schwer falle, Produktionen zu beurteilen, in denen sie nicht hinter einer Kostümierung verschwinden kann: "Dann sehe ich immer erst mal mich und nicht so sehr mich im Kontext der Geschichte." Sie war nie an einer Schauspielschule und fragt sich manchmal, wie ihre Karriere wohl mit Diplom verlaufen wäre. "Vielleicht hätte ich mich früher freispielen können und nicht so Schritt für Schritt, tastend, wie ich das getan habe." Traue charakterisiert sich als "bedacht". "Ich bin keine Rampensau und war das auch nie." Und doch hat Antje Traue gelernt, wie heilsam es sein kann, sich auch mal zu nehmen, was man möchte. "Je mehr ich mich von Ängsten befreie, desto breiter wird mein Spielfeld, desto vielfältiger werden die Möglichkeiten." Nach Dead End, Sackgasse, jedenfalls fühlt sich der Weg der Antje Traue bisher so gar nicht an.

Dead End , ZDF Neo, dienstags, 21.45 Uhr.

© SZ vom 25.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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