Podcast-Boom:Fabrik für kleine Welten

Gimlet Screenshot

„Ich glaube, ich möchte gar nicht, dass irgendwer mich kauft“, sagte Gimlet-Gründer Blumberg 2014. Auch diese Geschichte ist inzwischen ein Podcast.

(Foto: Gimlet)

2014 war Gimlet ein Start-up, das sein Geld mit Geschichten fürs Radio machte. Das tut es immer noch - Spotify legte dafür gerade einen unglaublichen Kaufpreis auf den Tisch.

Von Aurelie von Blazekovic

Im Frühling 2014 schlendert Alex Blumberg mit Chris Sacca über den West Pico Boulevard in Los Angeles. Sacca ist ein schwerreicher Silicon-Valley-Investor, der das richtige Gespür für Unternehmen wie Twitter und Uber hatte. Alex Blumberg ist Radiojournalist und Podcastproduzent, gründet gerade eine Podcastproduktionsfirma und braucht Geld. Also versucht er, den berühmten Sacca von seiner Idee zu überzeugen. Aber Blumberg ist nervös, kommt nicht richtig zum Punkt.

Sacca schon: "Was wäre der Exit?" Will heißen: Welches große Unternehmen würde Blumbergs Podcastfirma in drei bis fünf Jahren kaufen, damit Sacca sein Geld "zehn bis hundertfach" zurückbekommt? "Ich habe über diese Frage nicht nachgedacht", sagte Blumberg damals, "ich glaube, ich möchte gar nicht, dass irgendwer mich kauft".

Fünf Jahre später hat Blumberg verkauft, an den Musikstreamingdienst Spotify. Gimlet Media, sein Unternehmen, produziert inzwischen 25 Podcasts, die mehr als zwölf Millionen Mal pro Monat heruntergeladen werden. Spotify hat laut Medienberichten mehr als 200 Millionen Dollar gezahlt. Das wäre mehr Geld als Spotify je zuvor investiert hat. Diese Übernahme sagt viel aus über den anhaltenden Podcast-Hype.

Auch das Gespräch zwischen Blumberg und Sacca ist in einem Podcast zu hören - in StartUp dem ersten Podcast von Gimlet, in dem es um die Gründung von Unternehmen geht. Die erste Staffel begleitet die Gründung von - genau - Gimlet Media selbst. "Ein Unternehmen startet mit nichts als einer Geschichte", sagt Blumberg dort und das trifft wohl auf wenige Unternehmen so zu wie auf Gimlet, das dokumentarisch-journalistische und inzwischen auch fiktionale Podcasts produziert.

Beim Hören von StartUp bekommt man den Eindruck, dass CEO Blumberg sein Aufnahmegerät jederzeit dabei hat und überall mitlaufen lässt. Sogar wenn er mit seiner Frau bespricht, was er beim Treffen mit dem Investor anziehen soll - sind Laufschuhe hinderlich oder förderlich für den guten Eindruck? Zwischendurch kommentiert er seine Aufnahmen auch mal selbstironisch: "Um ehrlich zu sein, höre ich mich wie ein Vollidiot an".

Diesen Erzählstil hat weder Blumberg noch Gimlet erfunden. Wie eigentlich alle amerikanischen Podcast-Größen kommt Blumberg aus dem Umfeld der Radiosendung This American Life, die von WBEZ Chicago ausgestrahlt wird und weltweit als Podcast zugänglich ist. This American Life popularisierte das dokumentarische Erzählen im Radio und prägt es bis heute. Reporter erzählen nach diesem Vorbild so persönlich, dass sie das Gefühl vermitteln, an der Entstehung des Stücks, an allen Widrigkeiten und lustigen Begebenheiten auf dem Weg teilzuhaben. Und zur guten Geschichte kann, wenn sie so clever und intim erzählt ist, alles werden.

So funktionieren auch die Podcasts von Gimlet. Sie suchen das Faszinierende im Gewöhnlichen, zeigen kleine, spannende Welten. Das selbsterklärte Ziel: "Die Hörer sich selbst und die Welt besser verstehen lassen." In Heavyweight, etwa, leistet der Autor Jonathan Goldstein Lebenshilfe bei Leuten, die ihre Vergangenheit nicht loslässt. Reply All erzählt von Menschen, die das Internet prägen oder vom Internet geprägt werden. Crimetown zeigt Korruption und Kriminalität in der Stadt Providence auf Rhode Island und Homecoming ist der erste fiktionale Podcast von Gimlet, ein Psycho-Thriller in zwölf Episoden. Nebenbei produziert Gimlet auch Unternehmenspodcasts für ebay, Tinder und Microsoft.

Aus Homecoming hat Amazon kürzlich eine Serie mit Julia Roberts gemacht und auch aus StartUp ist eine Fernsehserie geworden. Aus einer Folge von Reply All soll ein Film mit Robert Downey Jr. entstehen. Natürlich hat sich Gimlet nicht die Gelegenheit entgehen lassen, auch den Sprung nach Hollywood zu einem Podcast zu verwerten: Making the TV Series begleitet die Verfilmung von Homecoming.

Das gesprochene Wort wird für Spotify immer wichtiger. Podcasts halten Hörer lange auf der App

Inmitten des Podcast-Hypes ist der Kauf von Gimlet für Spotify nur konsequent. Das gesprochene Wort wird dort immer wichtiger, den alleinigen Fokus auf Musik gibt es so nicht mehr. In einem Zug mit Gimlet hat Spotify auch die App "Anchor" gekauft, mit der Nutzer Podcasts aufnehmen und verbreiten können. Weitere Investitionen in Podcasts sind wahrscheinlich, denn Spotify-Gründer und CEO Daniel Ek sieht "unglaubliches Potential" für das Medium. Anfang Februar schrieb er in einem Blogpost, dass in einiger Zeit mehr als 20 Prozent der Spotify-Nutzung auf Inhalte abfallen werde, die nicht Musik sind. Praktisch für das Unternehmen: Podcasts, die selten kürzer als eine halbe Stunde sind, halten Hörer lange auf der App. Zusätzlich hat Spotify inzwischen eine gar nicht so kleine Auswahl an Hörbüchern.

Natürlich geht es auch um die Behauptung gegen die Konkurrenz: Google und Amazon investieren ebenfalls in Podcasts, Apple hatte jahrelang die größte Auswahl. Die großen Internetkonzerne sind aufmerksam geworden auf eine Branche, die sich lange abseits des Unterhaltungs-Mainstreams vor sich hin entwickelte und ein kleines Publikum bediente. Diese Zeiten sind vorüber. Spotify will, sagt CEO Daniel Ek, der weltweit führende Podcastanbieter werden.

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