Pinterest:Nett hier

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Das skandalfreie Image hat Pinterest zum Börsenstart einen Höhenflug beschert. Shitstorms in anderen sozialen Netzwerken setzt die Fotoplattform Kochrezepte und Wohnideen entgegen.

Von Walter Niederberger

Für Ben Silbermann lebt es sich im Schatten von Facebook und Google ganz bequem. Der Unternehmer, 36, hat Pinterest in aller Stille zu einer skandalfreien Bilderplattform ausgebaut und damit das beliebteste soziale Netzwerk für Frauen im Internet geschaffen. Hinter einem endlosen Strom an hübschen Bildern finden sich Links zu Kochrezepten, Mode, Dekoration, Wohnideen und vielem mehr. Das hat sich auch finanziell gelohnt. Die visuelle Suchmaschine ist eines der ganz wenigen neuen Techunternehmen im Silicon Valley, das die Gunst der Stunde an den boomenden Kapitalmärkten ausnützt und an die Börse geht, ohne mit gigantischen Verlusten belastet zu sein.

Nachdem Silbermann Pinterest vor dem Börsengang vorige Woche absichtlich niedriger bewertet hatte als erwartet, trieben die Investoren den Kurs der 75 Millionen zum Stückpreis von 19 US-Dollar ausgegebenen Aktien in nur einer Woche um 30 Prozent nach oben. Und Silbermann wurde mit seinem Aktienpaket im Wert von 1,6 Milliarden Dollar zu einem sehr reichen Mann.

Pinterest bekämpfte Hass und Hacker, als Facebook noch lang keine Verantwortung übernahm

Was aber macht das Fotonetzwerk so erfolgreich? Für Experten lautet die Antwort: Ben Silbermann selbst. Er ist im konservativen Mittleren Westen aufgewachsen, in Iowa, und hat sich bewusst stets aus der so sehr von sich selbst eingenommenen kalifornischen Techszene herausgehalten. Seiner Ansicht nach haben "die meisten Leute auf Twitter nichts Gescheites zu sagen und nichts Neues auf Facebook mitzuteilen". Aber jedermann sammle Dinge, tausche Rezepte oder Modetipps aus und sei froh um Ratschläge beim Einrichten des Kinderzimmers oder der Vorbereitung einer Hochzeit, meint er. Die Plattform ist eine schlichte Foto-Pinnwand, nicht spektakulär, aber nützlich. Und darüber hinaus völlig frei von Porno, Gewalt und hässlichen Kommentaren. Pinterest hat die Abwehr gegen Schund und Hacker ausgebaut, als Facebook noch jede Verantwortung für die Verbreitung rassistischer Inhalte abstritt. Er hat seit dem Start 2010 bewusst darauf hingearbeitet und Wachstum um jeden Preis abgelehnt. Er baute das gemeinsam mit seinem Collegefreund Paul Sciarra und Evan Sharp gegründete Unternehmen langsam auf und koppelte es erst vier Jahre nach der Gründung an Werbeeinnahmen an. Seine Mutter war in den ersten Jahren eine wichtige Quelle für Ideen und ist bis heute eine Stütze des Unternehmens geblieben. Auch Ann Romney, die Frau des republikanischen Senators, trug mit Ideen und einem gut bestückten Pinterest-Account zum familienfreundlichen Ansehen der Plattform bei.

Schwarmoffensive: Pinterest liefert Inspiration für alle Lebenslagen – von der Planung eines leckeren Abendessens bis zu einer perfekten Hochzeit. (Foto: Pinterest)

Heute landen Menschen vor allem wenn sie Kindergeburtstage, Torten oder Eigenheime dekorieren wollen hier. Nutzer speichern ihre Interessen ab (wie "Garten", "Desserts" oder "Mode"), werden fortan mit den passenden Themen versorgt, können Posts abspeichern oder selbst Beiträge erstellen. Man könnte auch sagen: Pinterest ist eine Art individualisiertes, interaktives Online-Frauenmagazin. Auch ein Investor der ersten Stunde, Rick Heitzmann von Firstmark Capital, erklärt den erfolgreichen Börsenerfolg mit der Person Silbermanns. Sein langfristiger Horizont und sein Abseitsstehen vom üblichen Hype im Silicon Valley habe die Investoren beeindruckt: "Er setzt vernünftige Erwartungen und arbeitet hart daran, diese zu übertreffen."

Obwohl die Plattform anders sein will als die großen Rivalen, ist Pinterest allerdings wie Facebook und Google von Werbeeinnahmen abhängig. Wenn Mark Zuckerberg will, kann er die Stärke von Facebook ausspielen und den Zugang seiner User auf andere Plattformen abblocken, wie er das bereits im vergangenen Jahr versucht hat. Es würde auch nicht überraschen, wenn Facebook die besten Ideen von Pinterest klauen würde - eine bittere Erfahrung, die Snapchat bereits machen musste. Ben Silbermann will sein Unternehmen deshalb in erster Linie im Ausland ausbauen, wo er sich ein größeres Potenzial verspricht als im Heimatmarkt. So startete er im März das Anzeigengeschäft in Deutschland, wo Pinterest eine Zielgruppe von acht bis elf Millionen Nutzern pro Monat anpeilt. Marktforscher schätzen die derzeitige Reichweite in Deutschland auf 6,4 bis 8,7 Millionen Nutzerinnen und jene für Männer auf 1,4 bis 1,9 Millionen.

Ben Silbermann, 36, wuchs in Iowa im Mittleren Westen der USA auf und studierte an der Elite-Uni Yale. Zu den wichtigsten Ratgebern des Pinterest-Gründers zählt seine Mutter. (Foto: Johannes Eisele/AFP)

Eine solche Expansion ist dringend nötig, da Pinterest eine tiefe Kluft zwischen dem Heimatmarkt USA und dem Ausland überwinden muss. Derzeit kommen fast die gesamten Werbeeinnahmen, 95 Prozent, in den USA zusammen, doch erreicht das Wachstum dort nur noch neun Prozent. Das zeigt, dass Pinterest wie Facebook und Google im eigenen Land zu stagnieren beginnt und auf neue Märkte angewiesen ist. Die Voraussetzungen sind durchaus gut, wie die Unterlagen für den Börsengang zeigen. 80 Prozent der neuen Kundinnen und Kunden stießen im Jahr 2018 aus dem Ausland zum Netzwerk, das internationale Wachstum liegt bei 30 Prozent. Und die Zufriedenheit unter den insgesamt 265 Millionen aktiven Nutzerinnen und Nutzern ist gemäß Umfragen doppelt so hoch wie bei Facebook.

Seine Vorsicht hat sich Silbermann für den Börsengang bewahrt, obwohl die Finanzlage günstig aussieht. Pinterest schrieb vergangenes Jahr trotz eines Umsatzes von 756 Millionen Dollar zwar noch Verluste, mit 63 Millionen ist er aber um die Hälfte geringer als im Vorjahr und um ein Vielfaches niedriger als der jeder anderen Social-Media-Firma. Das Unternehmen wurde zum Börsenstart mit knapp zehn Milliarden Dollar oder 15 bis 17 Dollar pro Aktie bewertet. Dabei hatten frühere Investoren noch 2017 über 21 Dollar pro Aktie bezahlt. Eine solche Abwertung vor einem Börsengang ist höchst ungewöhnlich. Sie muss als Warnung vor überzogenen Erwartungen an das Unternehmen und die Social-Media-Industrie gesehen werden.

© SZ vom 25.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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