Neuer Free-TV-Sender:Einstürzende Altbauten

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Nahrungsreisender: Promi-Koch Anthony Bourdain erlebt bei Kabel Eins Doku Kulinarische Abenteuer, in diesem Fall in Myanmar. (Foto: Cable News Network)

Mit einem eigenen Ableger befriedigt Kabel Eins die hohe Nachfrage nach Doku-Formaten.

Von Gianna Niewel

Ein Tornado schraubt sich in den wolkenverhangenen Himmel. Schnitt. Die Sirenen eines Polizeiautos kreischen. Schnitt. Ein Schiff peitscht über Wellen. Schnitt. "Echt nah dran" will Kabel Eins Doku sein, das zumindest verkündet der Werbespot des neuen Free-TV-Senders, der am Donnerstag startet. Die ganze Woche, rund um die Uhr, zeigt der Kabel-Eins-Ableger ausschließlich Dokumentationen.

Nun ist dieses Format nicht neu, auch nicht im deutschen Privatfernsehen. Ein paar Beispiele: n-tv begleitet in dieser Woche die Essener Polizei zu sozialen Brennpunkten. Der Männersender DMAX filmt Krabbenfischer vor der Küste Alaskas. Und RTL 2 war mit den beiden Hartz-IV- Empfängern Markus (22) und Jessica (24) unterwegs, um der Frage nachzugehen: "Armes Deutschland - Stempeln oder abrackern?"

Das Interesse kommt den Sendern auch finanziell entgegen

Beim Blättern durch die Programmzeitschriften könnte man den Eindruck einer wahren Informationsoffensive im Privatfernsehen bekommen. Während die Öffentlich-Rechtlichen an Dokumentationen in den vergangenen Jahren eher gespart haben und sie in Randzeiten verbannen, setzen die Privatsender verstärkt darauf. Doch die Freude über die vermeintliche Informationsoffensive hält meist nur, bis man die Formate einmal eingeschaltet hat.

Seit Februar haben 30 Mitarbeiter am Konzept für Kabel Eins Doku gearbeitet, fünf sind allein damit beschäftigt, den Markt nach ansprechendem Material abzusuchen. 800 Stunden hat der Sender für den Rest des Jahres eingekauft, teils ausgezeichnete Reihen aus Australien, den USA oder Frankreich, die in Deutschland zum ersten Mal ausgestrahlt werden.

Kabel Eins Doku, so hieß es vergangene Woche bei der Präsentation des neuen Senders in Berlin, "richtet sich ganz bewusst an den Mann, der angekommen ist", sagt Senderchef Thorsten Pütsch. Soll heißen: den Mann zwischen 40 und 64, der die Welt gesehen hat, zumindest in Teilen, oder sich von der Couch aus für sie begeistern kann. Den Mann, den der Werbemarkt "so noch nicht erreicht".

Der offenbar vor allem männliche Zuschauer sieht tagsüber Sendungen zum Hausbau, er begleitet den amerikanischen Koch und Autor Anthony Bourdain montags bis freitags auf dessen Kulinarische Abenteuer. Von 20.15 Uhr an steht jeder Abend unter einem Motto. Montags: "Natur und Technik", "Große Tiere, große Bilder"; dienstags: "Reporter und Geschichten"; mittwochs: "Real Crime. Echte Fälle, echte Täter", die Sendungen heißen "Fatales Vertrauen" oder "Mord im Paradies". So geht das den Rest der Woche weiter: "Mythen und Legenden", "Helden und Taten", "Macht und Mächte". Sonntags, zum Wochenausklang, dann noch "Katastrophen und Schicksale".

Alles Themen, die ordentliche Quoten versprechen - weniger Berliner Politikbetrieb als Mord an der Tankstelle. Kabel Eins Doku richtet sich an ein Publikum, das Bagger sehen will, einstürzende Altbauten und historische Schlachten. Und das am Stück, ohne sich vorab einzelne Sendungen in der Fernsehzeitung einkringeln zu müssen.

Dass der Zuschauer auch unabhängig von Kabel Eins Doku an diesem Genre so großes Interesse hat, kommt den Sendern finanziell entgegen. "Eine Stunde Dokumentation kostet uns im Einkauf deutlich weniger als eine Stunde Fiction", sagt Thorsten Pütsch. Das geht für ihn aber ausdrücklich nicht zulasten der Qualität. Es liegt in der Natur der Sache, dass es schlicht günstiger ist, einen Koch beim Kochen zu filmen, als ganze Fantasie-Welten zu erschaffen. Das haben auch die anderen (Privat-)Sender erkannt und fluten ihr Programm zuverlässig mit allerlei Dokus und Doku-Soaps.

Der neue Sender, so der Anspruch, will aktuell sein, aber sich nicht der Aktualität verschreiben; politisch sein, aber bitte nicht zu viel. Ungewöhnliche Bilder, spannende Geschichten. Das ist die Theorie. Praktisch könnte die so aussehen: Sollten die Amerikaner Donald Trump im November zu ihrem neuen Präsidenten wählen, wird auf Kabel Eins Doku kein Reporter vor dem Weißen Haus stehen, und niemand wird niemand fassungslose Demokraten fragen, wie es jetzt weitergeht.

Kabel Eins Doku, sagt Thorsten Pütsch, würde im Fall des Falles vielleicht die Familiengeschichte von Donald Trump erzählen. Trump hat deutsche Wurzeln, sein Großvater kommt aus Kallstadt, ein Winzerdorf, 1200 Einwohner. Am Wahlabend des amerikanischen Präsidenten also die Hintergründe zu seiner Person, eingebettet in Panoramabilder von Pfälzer Weinbergen. Man muss aber auch sagen: Kabel Eins Doku würde an einem solchen Abend also Dinge erzählen, die sehr viele Menschen schon sehr lange wissen.

Bleibt noch die Frage nach der Quote. Es sei schwierig, vor Sendestart seriös zu sagen, welche Zuschauerzahlen sie anpeilen, behauptet Thorsten Pütsch. Wer keine klare Vorgabe liefert, kann keine Erwartungen enttäuschen. Was er aber sagen kann: Im Idealfall kauft Kabel Eins Doku bald nicht mehr nur ein, sondern produziert auch selbst.

© SZ vom 22.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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