Neue Dokuserie:Stadterkundung mit dem Geigerzähler

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In "Die Geschichtsjäger" erforschen Comedian Wigald Boning und Youtuber Fritz Meinecke verlassene Orte und deren Vergangenheit.

Von Marc Hairapetian

Entfernt erinnern Wigald und Fritz, die Protagonisten dieser neuen Dokureihe, bei ihren Exkursionen an Rüdiger Kirschstein und Manfred Krug in der ARD-Fernfahrerserie Auf Achse, die von 1977 bis 1993 zu sehen war: Meistens motiviert, oft einen albernen Spruch auf den Lippen. Nur dass Wigald Boning, Komiker, Autor und Musiker, und Youtuber Fritz Meinecke nicht mit Brummis durch die Lande ziehen, sondern wie die Pfadfinder in kurzen Hosen per pedes. Ausgerüstet mit Landkarte und Rucksack enträtseln die Hobbyforscher in Wigald & Fritz - Die Geschichtsjäger für den Bezahlsender History geschichtsträchtige Orte, die in Vergessenheit geraten sind oder verlassen sind. "Urban Exploration" nennt man das in der Szene, oder auf Deutsch: Stadterkundung, aber für Fortgeschrittene.

Mit Videos von genau solchen Ausflügen ist Meinecke bekannt geworden. Jetzt erkundet er mit Boning zum Beispiel eine frühere Nationalpolitische Erziehungsanstalt im Harz, ein Thüringer Sanatorium oder die ehemalige Heeresversuchsanstalt in Peenemünde - auch wenn die dazugehörige Episode etwas griffiger "Hitlers Raketenschmiede" heißt.

"Ich hatte schon meine Entscheidung gefällt, dass ich mitmache, als ich hörte, dass Tschernobyl auf dem Programm steht und dass das Bundesamt für Strahlenschutz Entwarnung gab", sagte Boning bei einer Präsentation in Köln. Er erinnere sich noch gut an die Stimmung, die nach der Nuklearkatastrophe vor allem in alternativen Kreisen herrschte: "Diese Szene sah den Weltuntergang unmittelbar vor sich und wich von einigen Grundsätzen, wie frisches Gemüse essen, ab. Jetzt wurde auf Dose umgeschwenkt!"

Die sechste und letzte Episode "Todeszone Tschernobyl" ist die stärkste der Reihe. Nachdem Die Geschichtsjäger in der nahezu unbewohnten Gegend mit dem Geigerzähler immer noch alarmierend hohe radioaktive Werte messen, kommen sie dem Zentrum der Katastrophe, dem havarierten Block 4 des Kernkraftwerks, immer näher, das trotz des Unglücks erst im Jahr 2000 komplett abgeschaltet wurde.

Der Ort wäre für sensationsheischende Gruselszenen geeignet - aber sie bleiben dem Zuschauer erspart. Stattdessen ist Boning nachdenklich, Meinecke wird leise. So entsteht tatsächlich eine beklemmende Stimmung.

Die Dokumentation zeigt ehrlich, dass das Duo auch an seine Grenzen stößt: Die Interviews mit Wissenschaftlern gelingen zwar, doch eine ältere Ukrainerin, die auf einem heruntergekommenen Anwesen in unmittelbarer Nachbarschaft zum Reaktor lebt, knallt den beiden einfach die Tür vor der Nase zu.

Gegen "Todeszone Tschernobyl" fallen die anderen fünf Episoden etwas ab. Gerade in "Stasiknast Höhenschönhausen" würde man gern mehr von den interviewten ehemaligen Insassen erfahren.

Dass die Sendung eine Schwäche hat, räumt auch Boning ein. Mit um die 30 Minuten pro Folge sei sie "zu kurz, und zwar nicht nur, weil man damit die Angst vor der Langeweile sichtbar macht, indem man etwas zu stark komprimiert, sondern auch weil man den Themen und den persönlichen Geschichten der Zeitzeugen nicht immer gerecht wird", sagte er bei der Präsentation in Köln. "Aber das ist ein Luxusproblem. Umgekehrt wäre es schlimmer."

Wigald & Fritz - Die Geschichtsjäger, History, sechs Folgen, sonntags, 21.55 Uhr.

© SZ vom 12.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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