Neu bei Netflix:Wo sind Rui und Madeleine?

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Spurlos: Aus dieser Ferienanlage verschwand Madeleine McCann. (Foto: Netflix)

Eine Dokuserie erzählt in acht Episoden von verschwundenen Kindern und ihren in einem Albtraum gefangenen Eltern.

Von Johanna Bruckner

In einer Episode der Dokumentation The Disappearance of Madeleine McCann sitzt eine Mutter vor einem Aktenordner mit Kinderfotos. Die Gesichter darauf sind stark verpixelt, sie stammen aus kinderpornografischem Bildmaterial, das bei der Zerschlagung eines Pädophilenrings sichergestellt wurde. Die blasse Frau sucht nach dem Gesicht ihres Sohnes. Rui Pedro, zuletzt gesehen am 4. März 1998 im portugiesischen Lousada, bei seinem Verschwinden elf Jahre alt. Die Mutter wird ihn finden auf diesen Bildern, die einen unerträglichen Horror dokumentieren. Die Szenen mit Rui Pedros Mutter sind die stärksten der achtteiligen Serie, die sich mitunter verliert in ihren vielen Nebensträngen.

Am 3. Mai 2019 wird die titelgebende Madeleine McCann zwölf Jahre verschwunden sein. Falls sie noch lebt, ist sie heute ein Teenager - im öffentlichen Bewusstsein aber wird sie wohl ein dreijähriges Mädchen bleiben, blond, blaue Augen. "Maddie", schreibt die britische Boulevardpresse konsequent. "Madeleine" (gesprochen: "Ma-de-lin"), sagt ihr Vater Gerry McCann mit seinem schweren schottischen Akzent. Seine Tochter ist längst eine öffentliche Figur - The Disappearance of Madeleine McCann ist nur der jüngste Beweis. Dabei hatten Kate und Gerry McCann ihre Teilnahme am Filmprojekt verweigert.

Sie befürchten, die Dokuserie könnte Verschwörungstheorien befeuern. Und tatsächlich lassen die Macher das Publikum noch einmal nacherleben, welche Wendungen der Fall und die öffentliche Meinung darüber genommen haben. Von der überwältigenden Anteilnahme, als bekannt wurde, dass das Mädchen aus einer Ferienwohnung an der portugiesischen Algarve verschwunden war. Über erste Zweifel an der Version der Eltern, die zum Zeitpunkt des Verschwindens wenige Meter entfernt in einem Restaurant aßen und angaben, regelmäßig nach Madeleine und ihren Geschwistern geschaut zu haben. Über den Verdacht gegen die Eltern: Blut- und Leichenspürhunde schlugen im Appartement der McCanns an, in ihrem Mietwagen wurden Blutspuren sichergestellt. Bis zur Entlastung der Eltern, als herauskam, dass die entnommenen Proben überhaupt nichts aussagten. Die Serie zeigt Interviews mit zwei Männern, die zwischenzeitlich in Verdacht geraten waren und jeweils mit zerstörtem Ruf zurückblieben. Ein Millionär kommt zu Wort, der im Bemühen, den McCanns zu helfen, unwissentlich einen Hochstapler mit privaten Ermittlungen beauftragte. Am Ende von knapp sieben Stunden Doku sind mehr Fragen offen als zu Beginn. Zwei Dinge werden aber eindrücklich klar: wie ein medienträchtiges Verbrechen Beteiligte korrumpieren kann - und dass es mehr als nur ein Opfer gibt.

Das Quälendste, so heißt es in der Berichterstattung über verschwundene Kinder, sei für die Eltern, nicht zu wissen, was ihrem Kind passiert ist. Die Mutter von Rui Pedro, die ihren Sohn in einer Kinderporno-Datenbank fand, würde dem vielleicht widersprechen. Es kann auch quälen, zu viel zu wissen.

The Disappearance of Madeleine McCann , acht Folgen, bei Netflix.

© SZ vom 22.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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