Nach dem Roman "Mittagsstunde":Am Scheideweg

Ein klug gemachtes Hörspiel erzählt vom Untergang eines Dorfes im Zeichen moderner Landwirtschaft.

Von Stefan Fischer

Manches fällt einem erst dann auf, wenn es nicht mehr da ist. In Brinkebüll wissen sie noch genau, in welchem Sommer zum ersten Mal keine Störche mehr in das Dorf gekommen sind. Stattdessen waren kurz zuvor Landvermesser aufgetaucht. Es wurde Platz gemacht für industriell bewirtschaftbare Ackerflächen, Nistplätze waren da nur im Weg. Aus der Perspektive einer Gegenwart, in der längst die Renaturierungsprogramme für den ländlichen Raum laufen, schildert Dörte Hansen in ihrem Roman Mittagsstunde, wie ab Mitte der Sechzigerjahre die dörflichen Strukturen zerstört worden sind, denen heute nachgetrauert wird. Und die auch für immer verloren sind: Einen begradigten Fluss kann man notfalls wieder in sein altes Bett leiten. Traditionen aber sterben, wenn sie nicht gelebt werden.

Wolfgang Seesko hat aus Motiven des 320-Seiten-Romans nun ein 50-minütiges Hörspiel destilliert. Es konzentriert sich auf die Gastwirtsfamilie in dem fiktiven nordfriesischen Dorf voller Sonderlinge. Und statt möglichst viel hineinzupacken in das Hörspiel, nimmt Seesko sich Zeit - das erzählt mehr, als wenn er einen weiteren Handlungsstrang aufgenommen hätte. Ein wunderlicher Kosmos dehnt sich da vor einem aus. Und so versteht man, dass die Zustände, als alles noch im Lot schien, nicht länger hinnehmbar waren. Die Sehnsucht nach dem Verlorenen ist verlogen - wer wollte noch so leben wie die Dörfler vor sechzig, siebzig Jahren? Klar ist aber auch, dass der eingeschlagene Weg falsch war. Und die verrückte Gastwirtstochter zurecht unentwegt von einem Weltuntergang gefaselt hat.

Mittagsstunde , Bremen Zwei, Sonntag, 18.05 Uhr.

© SZ vom 03.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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