Monolog eines Historikers:Es ist nie vorbei

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Eine überaus gelungene Hörspielserie über die heute lebenden Juden als Gefangene der Geschichte - wie sehr nämlich die israelische Gesellschaft noch immer von der allgegenwärtigen Erinnerung an den Holocaust gequält wird.

Von Stefan Fischer

Gleich in der ersten Minute packt die vierteilige Hörspielserie Monster ihre Hörer am Kragen. Rückt ihnen den Kopf zurecht und lässt sie auch nicht mehr los. Wir Deutschen blicken notwendigerweise aus der Perspektive der Täter auf den Holocaust. Was eben auch bedeutet: Wir schauen vor allem auf uns selbst. Der Autor Yishai Sarid interessiert sich in seinem nun fürs Radio adaptierten Roman allerdings überhaupt nicht für uns Kinder, Enkel und Urenkel der Täter. Ihm geht es einzig um die Juden, vor allem um die nachgeborenen und darum, wie die Shoah nach wie vor die israelische Gesellschaft quält. Mit dem Titel des Hörspiels sind deshalb auch nicht die Mörder gemeint. Das Monster ist die Erinnerung, und sie kennt bis heute kein Erbarmen.

Yishai Sarid dirigiert den Blick seines Publikums sanft, aber bestimmt in die jüdische, genauer: die israelische Perspektive.

Die von Detlef Meissner inszenierte Serie besteht - formal mutig - aus einem einzigen Monolog: Daniel Rothaug spielt einen Historiker, der seinem Chef, dem Direktor der Gedenk- und Forschungsstätte Yad Vashem, Bericht erstattet. Den Grund dafür erfährt man erst in den letzten zwei Minuten, eine leise Ahnung vermittelt der rätselhafte Vorspann der vier Folgen.

Der Historiker erzählt von sich, er führt Besuchergruppen durch die KZ-Gedenkstätten im heutigen Polen. Das hat man ihm schon als Student klargemacht: Wenn er einen Job wolle in seiner Profession, müsse er sich zwingend auf den Holocaust spezialisieren. Auch er also ein Gefangener der leidvollen Geschichte.

Dieser Berichterstatter in eigener - aber eben, das wird zunehmend klar, auch kollektiver - Sache spricht über Überlebende, die ihn begleiten als Erzähler ihrer Geschichte und damit eine wichtige Aufgabe erfüllen. Die dadurch aber zwangsläufig reduziert werden auf ihre schreckliche Vergangenheit. Er spricht über die Anfeindungen gegenüber jenen Juden, die überlebt haben, weil sie als Häftlinge unter Zwang zu Handlangern in der Tötungsmaschinerie der Nationalsozialisten geworden sind. Er berichtet von Teenagern, deren Guide er ist, die den Opfern der Shoah mangelnde Gegenwehr vorwerfen, sie zu Feiglingen abstempeln und deshalb jegliche Gewalt, die von Israel ausgeht, speziell gegen die muslimischen Nachbarn, legitimieren. Sie wollen keine Opfer werden, also leiten sie aus dem Holocaust die Rechtfertigung zum Töten ab.

Der Historiker berichtet auch von sich selbst und wie im Alltag sein Pazifismus zerbröselt. Monster ist eine Fiktion und gleichwohl ein Kondensat der Realität. Die Eines unmissverständlich klarmacht: Auch wenn der letzte Zeitzeuge gestorben sein wird, bleibt der Holocaust ein Teil der Gegenwart.

Monster , WDR 3, Montag bis Donnerstag, jeweils 19.04 Uhr.

© SZ vom 27.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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