Mockumentary:Das Kuwait des Ostens

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So hätte das aussehen können: In Niki Steins Fake-Doku Öl - Die Wahrheit über den Untergang der DDR demonstrieren Umweltschützer gegen Ölbohrungen in der Ostsee. (Foto: HR/Niki Stein)

Die ARD zeigt eine fiktive Dokumentation über das Ende der DDR. Das wird zur Schmockumentary.

Von Bernd Graff

Wenn man lose Fäden wie Konfetti in die Luft wirft, dann flirrt es erst einmal bunt. Doch das Garn verheddert sich am Boden zu einem Knäuel, erzeugt einen Knoten, den man kaum durchdringt. Je dicker der Knoten, desto schwieriger die Entwirrung, und umso weniger interessiert einen das Ganze. Das gilt gerade für komplizierte Erzählfäden. Auch sie können von ihren Autoren mühelos in die Luft geworfen werden, aber dann verwirren sie sich in Gespinst und Gewusel.

Der aufwendig (und bunt) arrangierte Fernsehfilm: Öl - Die Wahrheit über den Untergang der DDR nach einem Drehbuch von Niki Stein, der auch Regie führte, ist zwar zumindest mal ein Experiment im Wiedervereinigungs-Fernsehen, und deshalb grundsätzlich sympathisch. Aber es verdreht seine Erzähl-Schnüre konsequent von Beginn an zu einem kaum zu entwirrenden Knoten.

Das ist vor allem der gewählten Erzähl- und Darstellungsart geschuldet, die man Mockumentary nennt: ein Kunstwort aus den englischen Wörtern "to mock", also vortäuschen, und "documentary", Dokumentarfilm. Öl, das (fiktive) Untergangs-Szenario der DDR, wählt die Form einer investigativen Reportage, in der auch Original-Filmmaterial aus DDR-Beständen verwendet wird, um den Plot mit scheinbar historischen Bildern zu untermauern. Medienkritisch ist dies schon deshalb problematisch, weil die Vermengung von Fakt und Fiktion Stilmittel von Satire und Parodie, aber eben auch von Propaganda ist, also dazu angetan, Paranoia zu schüren. Vor allem, wenn der Plot sehr mühsam (und streckenweise auch bemüht) so viele Zugänge wie Nebenschauplätze für eine hyperkomplexe Story aufbietet.

Was für ein irres Komplott: Es gibt Tote, Shanty-Seligkeit und niedliche Babyrobben

Darum geht's: Die Mitte der Achtzigerjahre schon wirtschaftlich marode DDR entsendet Forschungsschiffe in die Ostsee, offiziell mit dem Auftrag, die Bewegung von Fischschwärmen zu erforschen. Doch ist man in Wahrheit von einem "VEB Seismik" aus Leipzig damit betraut, nach Öl zu suchen. Ein Haiko R. (Jörg Pose) gehört zur Besatzung, er wird vom bundesrepublikanischen Bundesnachrichtendienst als Agent angeheuert. Nach dem Mauerfall verschwindet er mit neuer Identität im Ausland und kehrt erst 25 Jahre später wieder - um der jungen Investigativjournalistin Merle Weber (Katharina Hackhausen) zu stecken, dass er sich von seinen ehemaligen Forscherkollegen gelinkt fühlt. So behauptet Haiko, man habe damals tatsächlich riesige Ölvorkommen in der Ostsee entdeckt, die DDR sei kurz davor gewesen, das "Kuwait des Ostens" zu werden. Ihn habe man ausgebootet, die Kollegen aus West wie damals Ost deckten sich heute gegenseitig, versteckten sich nun in jenen Scheinfirmen, die gerade Probebohrungen in der Ostsee vornähmen, tatsächlich aber schon das große Milliarden-Geschäft perfekt machen - ohne ihn.

Ein Komplott sondergleichen also. Ein ziemlich unfeiner Professor spielt eine Rolle, Firmensprecher winden sich vor der Kamera, Umweltverbände protestieren, alte Matrosen bemühen ihr schlechtes Gedächtnis, es gibt Tote, mafiöse Bedrohung und Verfolgung, aber auch niedliche Babyrobben und Shanty-Seligkeit in Seemannstavernen am Ostsee-Strand. Alles atemlos hintereinander geschnitten, die Macht der Bilder ist beeindruckend. Um nichts weniger geht es also: Was ist nun wirklich dran am DDR-Öl vor Rügen - und war der Untergang des sozialistischen Staates nur ein Ablenkungsmanöver, um einem sinistren Konsortium aus Ost- und Westganoven mit avancierten technischen Möglichkeiten Zugang zu diesem Ozean aus Öl zu verschaffen?

Niki Stein, der im Begleitmaterial zum Film so wirr über seine Mockumentary schreibt, wie er sie gedreht hat, meint zu seiner Darstellungsmethode: "Wahr ist, was wir uns vorstellen können, den Beweis zu führen nur ein nachgeordnetes Problem. Hauptsache, es bringt uns weiter auf der Suche nach Gerechtigkeit und einem Miteinander in Würde und Achtung."

Mit Verlaub: Eine Nummer kleiner und ein bisschen Humor hätten dieser - Achtung: Neuwort! - Schmockumentary, dieser verschmockten Scheinrecherche also, sehr viel besser getan.

Öl - Die Wahrheit über den Untergang der DDR , ARD, 22.45 Uhr.

© SZ vom 21.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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