Mit kleiner Auflage, aber erfolgreich:Frische Luft

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Auf dem schwierigen Markt der Musikmagazine behauptet sich ein liebevoll gemachtes Blatt aus Berlin: "Das Wetter" hat exzessive Interviewgewohnheiten und die Mama als Chefin vom Dienst.

Von Jan Kedves

Über das Wetter kann man ja immer und mit allen reden, im Taxi, in der Supermarktschlange, es ist das niederschwelligste Thema überhaupt. Wobei man genauso hochschwellig über das Wetter reden kann, es wird dann vielleicht eher zur Metapher, für die kulturelle und/oder politische Großwetterlage zum Beispiel.

Gar nicht so unschlau also, ein Magazin Das Wetter zu nennen. Es muss sich dann niemand ausgeschlossen fühlen, aber die Reflexionssphären können nach oben hin offen bleiben. So ungefähr hat sich das Sascha Ehlert gedacht, als er 2013 in Berlin sein unabhängiges Magazin "für Text & Musik" (so die Titel-Unterzeile) startete. Damals war die große Zeit der Popkultur- und Musikauskenner-Hefte in Deutschland längst vorbei, Spex, Groove, Intro und De:Bug hatten schon mit sinkenden Auflagen und Anzeigenschwund zu kämpfen. Beim Hip-Hop-Magazin Juice, dessen Chefredakteur Ehlert eine Zeit lang war, sah es auch nicht gut aus.

Mit Ausnahme von Juice gibt es sie nun alle nicht mehr, zumindest nicht auf Papier. Spex und Groove sind kürzlich als Online-Formate mit neuen Redaktionen und Bezahlschranke wiederauferstanden, es bleibt abzuwarten, wie sich ihre Angebote entwickeln. Das gedruckte Magazin, das allen Printmarkt-Pessimismen zum Trotz wächst, langsam wächst, heißt Das Wetter.

Aufatmen für die gesamte Branche? Nun ja. "Ich glaube, dass es eine Kehrtwende gibt dahingehend, dass ein gutes Printprodukt wieder etwas Cooles und Schickes wird. Wenn man auf Instagram ein Foto von sich mit einer Ausgabe von Das Wetter postet, gibt einem das gleich ein gutes, bourgeoises, intellektuelles Image", meint Katharina Holzmann nicht ohne Augenzwinkern beim Redaktionsbesuch in Berlin-Wedding. Holzmann ist Redakteurin und Lektorin von Das Wetter, und Redaktion bedeutet hier: vier junge Menschen um die dreißig, die sich von der Idee, dass man als festangestellter Journalist in einem mittelständischen oder großen Verlag um Konferenztische herumsitzt, gelöst haben.

Die Wetter-Redaktion trifft sich eher selten an ein und demselben Ort, Ideen und Texte werden über den Filehosting-Dienst Google Drive ausgetauscht. Vor Drucklegung einer neuen Ausgabe, etwa alle drei Monate, versammelt man sich in der Wohnung von Chefredakteur Ehlert in der Gropiusstraße mit Kanalblick. Er stellt dann selbstgebackene Kekse auf den Couchtisch, die Layouts der neuen, siebzehnten Ausgabe hängen an der Wand - etwa eine Begleitung der Deutsch-Rapperin Nura, die beim "Wir sind mehr"-Konzert gegen rechts im vergangenen Jahr in Chemnitz auf der Bühne die Regenbogenflagge schwenkte und nun im Tattoostudio erzählt, wie gut ihre muslimische Mutter mit Lesben klarkommt ("Mashallah, sollen die machen!"). Es gibt einen Reisebericht aus dem Ruhrpott zu lesen und eine literarische Suche nach Ovids Grab in Südrumänien. Auch: Thesen zur deutschen "Gegenwartsbewältigung" von Erfolgsautor Max Czollek ("Desintegriert euch!").

Solch eine Mischung würde man manch anderem Magazin wünschen. Rap und Popliteratur gehen hier ganz selbstverständlich zusammen mit feministischem Diskurs und dem Ringen um postmigrantische Identität in Deutschland. Das heißt nicht, dass jeder Text im Wetter gleich zugänglich ist, manches liest sich auch ein bisschen verquast. Aber man merkt jeder Zeile die Leidenschaft an, mit der sie geschrieben wurde.

Die Kernleserschaft ist zwischen 20 und 30 Jahre alt. "Diese Generation", sagt Sascha Ehlert, während er seinen japanischen Shiba-Hund Lewin streichelt, greife durchaus gern zu Gedrucktem, "wenn man nicht nur schnelllebig konsumieren, sondern Sachen eher verstehen will". Papier sei ein Medium für "Wissensdurst und Erkenntnisdrang", worüber er dann selbst ein wenig schmunzeln muss, denn es klingt ja ziemlich hochtrabend.

Inzwischen verkauft Das Wetter um die 3000 Hefte pro Ausgabe, à 8,50 Euro. Größere Verlage dürften da kichern, aber: Das Heft trägt sich. Es sind viele Anzeigen aus den Bereichen Theater und Mode drin, gar nicht mal so viele aus der Musikindustrie. Die Vertriebskosten seien vergleichsweise niedrig, sagt Ehlert, weil das meiste über den Abo-Stamm und Einzelbestellungen weggehe, also: Direktvertrieb. Der teure flächendeckende Vertrieb über den Bahnhofsbuchhandel mache einen geringen Anteil aus, was auch bedeutet: Es muss nicht so viel eingestampft werden.

Wenn zu viele Stars aufs Cover wollen, machen sie zur Not eben drei Cover

Alleine von der Arbeit am Wetter leben kann aber niemand, daraus macht hier auch niemand ein Geheimnis. Redakteurin Caroline Elsen arbeitet Vollzeit in einer Berliner Agentur für Medienanalyse, Katharina Holzmann als freie Lektorin für andere Verlage. Ehlert schreibt für Zeitungen und Magazine. Der Vierte im Kreis, Jan Wehn, veröffentlicht gerade bei Ullstein seine fast 500 Seiten dicke Oral History über die deutsche Rap-Szene mit dem Titel "Könnt ihr uns hören?". Für das Buch hat er mit Co-Autor Davide Bortot mehr als hundert Interviews mit deutschen Rap-Protagonisten geführt.

"Ich finde es eigentlich ganz schön, nicht jede Woche den gleichen Ablauf zu haben und Sachen spontan machen zu können", sagt Katharina Holzmann. "Also, nur beim Wetter zu arbeiten ... ich glaube, da hätte man schnell diesen Berufseffekt, dass man irgendwann nur noch in seiner eigenen Blase ist." Sascha Ehlert nickt: "Einen Redaktionsalltag mit Jeden-Tag-Aufeinanderhocken könnte ich mir auch nicht vorstellen."

Eine Folge dieser Vermeidung des "Berufseffekts" beim Wetter ist es, dass die Redaktion so selten wie möglich mitmacht bei den Standard-15-Minuten-Promo-Interviews, die in generischen Hotelzimmern von straff durchorganisierten Promotern mit angeboten werden. Wer im Wetter ein Interview mit oder Porträt über sich lesen will, muss sich Zeit nehmen, einen Tag oder eine Nacht, und mit den Autoren im Wald spazieren, saufen oder eben ins Tattoostudio gehen.

Die Ausgaben haben häufig mehrere Cover, die aktuelle hat gleich drei verschiedene. Konnte die Redaktion sich einfach nicht entscheiden, oder hat der Chefredakteur sich nicht getraut, ein Machtwort zu sprechen? Ganz anders: Ehlert und Caroline Elsen erklären, dass die parallelen Cover der Umgang ihrer Redaktion damit seien, dass manche Interviewpartner ihre Zusage zu einem Treffen dann doch mit gewissen Erwartungen verknüpften - wie etwa, dass die Story auf dem Cover landet. Mit Hinblick auf journalistische Unabhängigkeit mag das heikel sein, im Musikmagazin-Bereich ist es unausgesprochen Alltag - nicht nur bei kleinen Verlagen. Aber es fragt ja niemand, ob es auch das einzige Cover sein wird. Da müssen dann alle im Raum grinsen.

Im Nebenraum wuselt derweil Mama Ehlert. Sie wird im Impressum als CvD, als Chefin vom Dienst, genannt. "Ich dachte einfach, das wäre der beste Titel für sie", sagt ihr Sohn. Heike Ehlert kümmert sich um die Buchhaltung und den Versand der Merchandise-Artikel. Was gar nicht wenig Arbeit ist, denn die Wetter-Shirts, -Pullover und -Mützen werden als Standbein immer wichtiger. Im Grunde ist es fast eine Modelinie, die Das Wetter anbietet. Was so ungewöhnlich im Bereich unabhängiger Printmagazine nicht ist. Auch das englischsprachige Berliner Magazin 032c, das mit seiner Mischung aus hypercooler Fashion und Gegenwarts-Essayistik seit einigen Jahren international tonangebend ist, weitet seine Kollektion beständig aus, inzwischen mit Schauen in London und Mailand.

Dass Kunden mal ein Heft einfach so mitbestellen, weil sie auf Instagram ein Wetter-Shirt super fanden, sei durchaus schon passiert, sagt Ehlert. Auf diese Weise befeuern soziale Medien den Merchandise-Absatz, der dann das Printprodukt querfinanziert: So geht Journalismus heute auch. Der aktuelle Hit im Sortiment ist das Shirt, auf dessen Brust groß "LIES" steht. Viele werden das intuitiv englisch lesen, "Lügen", und die Assoziation zur "Lügenpresse" ist sofort da. Genau der Effekt, den die Wetter-Redaktion mit diesem Shirt beabsichtigt - es ist, wenn man so will, das textile Statement zur Zeit. Denn wie soll man die mutmaßlichen Lügen von vermuteten Wahrheiten trennen, wenn nicht durch lesen, lesen und noch mehr lesen? "Lies", das ist auf Deutsch dann die Aufforderung, die in Bezug auf Das Wetter uneingeschränkt gilt.

© SZ vom 23.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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