Medienpreis:Erzählt mal

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Beim Grimme-Online-Award in Köln gewinnen fast nur Projekte, für die keins der großen Medienhäuser verantwortlich ist. Im Fokus des unterhaltsamen Abends stehen all die Chancen, die das Internet bereithält - trotz aktueller Debatten um Hass im Netz.

Von Benjamin Weber

Der partizipative Charakter des Netzes, diese verheißungsvolle Möglichkeit, dass im Internet jeder erst mal einfach machen kann, wurde beim Grimme Online Award in Köln wieder einmal deutlich hervorgehoben. Denn, und das war die interessanteste Erkenntnis des Abends, kein einziges Projekt mit einem großen Medienhaus im Rücken wurde von der Jury ausgezeichnet. Lediglich der Publikumspreis ging an den öffentlich-rechtlichen Youtube-Kanal "Einigkeit & Rap & Freiheit" (Funk) - die anderen Gewinner sind eher kleine Projekte.

"Mensch Mutta" von Katharina Thoms ist so eine Do-it-yourself-Idee. Die Journalistin, die hauptberuflich für den SWR-Hörfunk arbeitet, hat für ihren seriell erzählten Podcast ihre Mutter interviewt, die ihr halbes Leben in der DDR verbracht hat. Und sich dafür in sieben einzelnen Episoden so viel Zeit genommen, wie man sie im linearen Radio heute kaum mehr bekommt. Dennoch oder gerade deswegen ist "Mensch Mutta" eine fesselnde Audio-Erzählung geworden, die gleichermaßen biografisch und exemplarisch das Leben in der DDR abbildet.

Eine weitere Auszeichnung ging an Tobias Vogel, der einerseits bei einer Versicherung arbeitet, aber auch als "krieg und freitag" Strichmännchen-Comics malt, in denen er aktuelle Themen simpel, humorvoll und bisweilen tiefgründig umsetzt. In kurzer Zeit hat sich dafür eine große Fangemeinde entwickelt, mit der Vogel intensiv interagiert - für die Jury preiswürdig.

Trotz der aktuellen Debatte um Hass im Netz können Menschen dort auch konstruktiv zusammenarbeiten, was das preisgekrönte Projekt "Wem gehört Hamburg?" zeigt. Mit einem Crowd-Newsroom wertete das Recherchekollektiv "Correctiv" Angaben von 1000 Hamburgern über ihre Mietverhältnisse aus, um herauszufinden, wie die Macht auf dem Hamburger Immobilienmarkt verteilt ist. Nur mit dieser Transparenz könne man etwas gegen den Mietwahnsinn unternehmen. Die Jury fand das "herausragend".

Der Grimme Online Award gilt als wichtigster deutscher Preis für Online-Publikationen. Moderiert wurde er sehr pointiert von Siham El-Maimouni, die auch für den WDR arbeitet, den Abend aber trotzdem mit dem Aufruf begann, dass sich die großen Medienhäuser und Sender mehr vom Netz abschauen sollten, um "verstaubte Strukturen aufzubrechen". Gute Beispiele gibt es unter den diesjährigen Preisträgern zuhauf.

© SZ vom 21.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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