Late-Night-Comedy:In der Spur

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Für "Carpool Karaoke" fährt der Moderator James Corden singend mit Prominenten durch Los Angeles. Ein Gespräch über die Planbarkeit von Youtube-Hits, die Macht der Klicks und über Mariah Carey.

Interview von Jürgen Schmieder

Als der US-Sender CBS 2015 nach zehn Jahren die Nachfolge ihres anarchischen Moderators Craig Ferguson einem jungen Briten übertrug, herrschte eine gewisse Ratlosigkeit. Der Sender musste seinem Publikum erklären, dass dieser James Corden, der die Late Late Show moderieren sollte, ein Multitalent ist, in England mit Preisen überhäuft als Komiker, Sportexperte und Sänger, in den USA bekannt als Darsteller am Broadway. Inzwischen ist sein Late-Show-Element "Carpool Karaoke", in dem er singend mit Promis durch Los Angeles fährt, weltberühmt.

Corden, 38, ist kein klassischer Clown wie Jimmy Fallon, er ist kein Satiriker wie Jimmy Kimmel. Er wirkt wie einer, den man gerne zu einer Party einlädt. Das ist der Grund, warum sich Promis gerne zu ihm ins Auto setzen: Sie müssen keine bösen Fragen befürchten oder blamable Spielchen. "Carpool Karaoke" ist eines der erfolgreichsten Formate der Late-Night-Geschichte, die Youtube-Clips verbreiten sich innerhalb weniger Stunden. In der kompetitiven Welt der amerikanischen Late-Night-Shows ist Corden längst einer der mächtigsten Protagonisten. Die Late Late Show läuft in Deutschland einen Tag nach der US-Ausstrahlung bei RTL 2 You.

SZ: Mister Corden, das Magazin Time hat Sie kürzlich in die Liste der weltweit einflussreichsten Internet-Persönlichkeiten aufgenommen, für The Late Late Show haben Sie einen Emmy bekommen. Sie sind in der amerikanischen Late-Night-Szene offenbar angekommen.

James Corden: Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Ich bin überwältigt von all dem, was in den vergangenen Wochen passiert ist - ich will mich jedoch nicht über diese Auszeichnungen definieren. So was kann schnell gefährlich werden.

Das Projekt "Carpool Karaoke" hat Sie weltweit berühmt gemacht, die Folge mit der Sängerin Adele haben allein bei Youtube mehr als 127 Millionen Menschen gesehen. Wie kam es zu der Idee, mit Promis im Auto zu singen?

Jede Late-Night-Show braucht prägende, wiederkehrende Elemente. Wer an David Letterman denkt, der hat sofort die Top-Ten-Listen im Kopf. Jay Leno befragte Passanten und nannte es "Jaywalking", Jimmy Fallon schreibt fiktive Dankeskarten, die "Thank You Notes", an Prominente, Jimmy Kimmel lässt Promis Twitter-Einträge vorlesen, in denen sie beschimpft werden. Ich war damals neu in der Stadt und musste mich an diesen schrecklichen Verkehr in Los Angeles gewöhnen. Ich habe mich daran erinnert, dass ich 2011 in einem Sketch für die britische Wohltätigkeitssendung Comedy Relief George Michael aus dem Gefängnis abgeholt habe und wir im Auto seine Lieder gesungen haben. Also: Warum nicht eine Fahrgemeinschaft in Los Angeles, um die schnelleren Spuren auf den Highways nutzen zu dürfen?

War es schwer, die Promis davon zu überzeugen?

Es war zu Beginn beinahe unmöglich, überhaupt Gäste zu bekommen!

Weil Sie kein US-Promi waren, kein Absolvent der Saturday-Night-Live -Schule wie etwa Jimmy Fallon, Seth Meyers und Conan O'Brien, Sie waren nicht im US-Fernsehen verankert wie Jimmy Kimmel oder Stephen Colbert...

Jeder Musiker, den wir angefragt haben, hat abgelehnt. Jeder einzelne - bis auf Mariah Carey. Sie hat den Sketch mit George Michael gesehen und sofort kapiert, worum es geht. Sie war mutig genug, sich als Erste mit mir in ein Auto zu setzen und einfach loszufahren. Dafür werde ich ihr auf ewig dankbar sein.

Mittlerweile hat Michelle Obama bei Ihnen gesungen und ihren Secret-Service-Namen verraten. Anthony Kiedis von den "Red Hot Chili Peppers" hat während der Aufzeichnung einem kleinen Kind das Leben gerettet.

Das passiert alles spontan. Ich erkläre den Promis kurz, was auf sie zukommt. Das ist recht einfach: Wir setzen uns in ein Auto und fahren ein, zwei Stunden durch die Gegend. Das war's - und der Zusammenschnitt ist dann hoffentlich unterhaltsam. Ansonsten wird vorher nichts besprochen.

Es gibt nicht nur "Carpool Karaoke" in Ihrer Show. Sie haben Dodgeball, eine Art Völkerball, mit der Boygroup "One Direction" gespielt, mit Arnold Schwarzenegger dessen beste Rollen nachgestellt, mit David Beckham ein Unterwäsche-Video gedreht. Vor ein paar Jahren sind Promis noch einfach auf die Bühne gekommen, haben ein bisschen geplaudert und den neuen Film angepriesen...

Diese klassischen Interviews gibt es heute auch noch - und sie sind bisweilen richtig lustig. Und es gab auch früher schon verrücktere Elemente, denken Sie nur an das Ding von David Letterman mit Steve Martin aus dem Jahr 1998, in dem die beiden so tun, als wären sie ein schwules Pärchen im Urlaub. So etwas hätte heutzutage Millionen Klicks! Was sich verändert hat, ist weniger die Struktur der Interviews als vielmehr die Reaktion der Zuschauer darauf. Das müssen wir berücksichtigen - und Inhalte anbieten, die den Menschen im Internet gefallen.

Wie groß ist der Druck, andauernd etwas produzieren zu müssen, das sich millionenfach verbreitet?

Druck gibt es keinen, aber natürlich wollen wir so viele Menschen wie möglich erreichen. Unsere Sendung beginnt um 0.30 Uhr, wir konkurrieren also nicht nur mit anderen Shows, sondern auch mit der Müdigkeit der Zuschauer. Viele Menschen schlafen um diese Zeit. Unsere Sendung wird zwar nachts ausgestrahlt, sie existiert jedoch 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr. Damit müssen wir arbeiten.

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Jay Leno betonte stets, wie wichtig ihm Einschaltquoten und der Quotensieg seien. Wie ist das bei Ihnen?

Ganz ehrlich: Es interessiert mich nicht besonders, wie viele Menschen uns jeden Abend sehen. Ich weiß es nicht einmal genau. Was ich jedoch genau weiß: Wir haben bei Youtube 7,5 Millionen Abonnenten und mehr als 1,7 Milliarden Views. Das sind die Zahlen, die mich interessieren. Niemand weiß, wie viele Menschen House of Cards sehen (Netflix veröffentlicht keine Zahlen, d. Red.) - doch wir alle wissen, dass es eine grandiose Serie ist. Die Maßeinheiten haben sich verändert: Wir wollen nicht mehr anhand von Einschaltquoten gemessen werden, sondern anhand von Relevanz. Das ist unser Ziel: eine Show, die möglichst relevant ist.

Late Night hat sich verändert in den vergangenen Jahren: Leno und Letterman haben aufgehört, Jon Stewart seine Tonight Show abgegeben. Es gibt nun Sie, Jimmy Kimmel, Seth Meyers, Jimmy Fallon. Eine neue Generation Gastgeber für eine neue Generation Zuschauer?

Das glaube ich nicht. Die Menschen haben sich nicht verändert. Was sich verändert hat, das sind die Sehgewohnheiten.

Sie schicken uns nicht mehr ins Bett, wie es Letterman oder Leno getan haben.

Ganz genau, Sie können uns auch noch am nächsten Morgen ansehen.

Also findet ein Wettkampf statt, wer die meisten Youtube-Hits schafft?

Ich bewundere jeden, der diesen Job macht - weil ich weiß, wie schwer es ist. Natürlich sehe ich manchmal Sachen von Kollegen und denke mir: "Mann, das ist großartig! Warum sind wir nicht selbst darauf gekommen?"

Denken Sie auch manchmal: Meine eigene Idee war nicht so toll?

Ach, andauernd, das gehört dazu. Wer vier Sendungen pro Woche produziert, der muss auch mal Dinge gegen eine Wand schleudern und darauf hoffen, dass ein paar davon kleben bleiben. Man muss sich nur klarmachen: Was immer du für großartig hältst, wird irgend jemand auf der Welt hassen. Wer bin ich schon, dass ich darüber entscheide, was gut ist und was nicht? Wir hoffen, dass unsere Sachen so vielen Menschen wie möglich gefallen, aber natürlich sind da auch Dinge dabei, die nicht funktionieren. Das Schöne dabei ist: Die Sachen, die nicht klappen, die sind morgen schon vergessen.

© SZ vom 08.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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