Kommentar:Ich ohne Schatten

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Drei Bücher, zwei Smartphones, eine Tischuhr: Emmanuel Macron posiert für sein Präsidentenfoto bei offenem Fenster am Schreibtisch. Eine Augenweide für Symbolsucher. Solche Selbstinszenierungen verleiten aber auch zu Witz und Spott.

Von Joseph Hanimann

Er blättert lang im Buch, vor und zurück, bis er es an einer bestimmten Stelle aufgeschlagen auf dem Tisch zurechtlegt. Das Internet-Video zu Emmanuel Macrons Präsidentenfoto macht das Ritual zur Story. Das Foto, das in allen Rathäusern Frankreichs hängen wird, ist immer ein Akt präsidialer Selbstdarstellung. De Gaulle, Mitterrand und Sarkozy ließen sich in der Bibliothek des Elysée-Palastes porträtieren, Chirac und Hollande draußen im Garten. Macron entschied sich für sein schon legendäres "sowohl als auch". Er posiert im Elysée vor dem offenen Fenster mit Blick auf den Garten unter zart blauem Himmel.

Flankiert von der Frankreich- und der Europaflagge steht er vor seinem Schreibtisch. Hinter ihm auf dem Tisch liegen das aufgeschlagene Buch, de Gaulles Memoiren in der klassischen Pléiade-Ausgabe, daneben eine kleine Statue mit einem goldenen Hahn und zwei Smartphones. Dieser Mann verbindet Lesekultur und zeitgemäße Vernetzung. Apropos Zeit: Links hinter ihm eine Tischuhr. Vergangenheit und Zukunft werden von den auf den Tischrand gestützten Armen wie von zwei Klammern eingefasst um eine Mitte, die imposant und entspannt zugleich geradesteht, und nur eines sagt: Ich.

Der Lichtfall auf dem Bild ist interessant. Kein Schatten, nirgends. Licht scheint ihn von draußen wie von drinnen zu umströmen. Die Szene erinnert an die Lichtverteilung barocker Kompositionen etwa bei Caravaggio. Alles splittert immer gleich in Vieldeutigkeit auf beim neuen französischen Präsidenten.

Symbolfigur Macron, ein Ausschnitt. (Foto: AP)

Wo genau de Gaulles Memoiren aufgeschlagen sind, ist nicht zu erkennen. Dem Seitenstand nach zu schließen könnte es das Kapitel "Wirtschaft" sein, in dem der General die Nation zur "maßvollen und tiefen" Erneuerung ermahnt - aber weder durch den moralisch verkümmerten Kapitalismus noch durch den zum Totalitären neigenden Kommunismus, sondern durch die Wiederherstellung des Menschlichen in der "mechanischen modernen Gesellschaft". Welchen Quellen diese Erneuerung entspringen soll, sagt das Foto nicht. Das begleitende Video gibt aber Hinweise dazu. Da liegen noch zwei Bücher auf dem Tisch, als wäre der Präsident bis zuletzt unschlüssig gewesen, welches er aufblättern soll. Das eine Buch ist der Roman "Rot und Schwarz" von Stendhal, die Geschichte vom Aufsteiger Julien Sorel im Frankreich der Restaurationszeit. Das andere sind die "Früchte der Erde" von André Gide, ein Plädoyer für die Genussfähigkeit gegenüber der Welt. Mit Voluntarismus und Weltoffenheit, darf man schließen, will Macron also seine Aufgabe angehen.

Symbolgesättigte Selbstinszenierungen wie diese verleiten naturgemäß zu Witz und Spott. Kaum war das neue Präsidentenporträt über Twitter bekannt, zirkulierten die Parodien, vom Fußballer Zidane in derselben Pose bis zu einer Collage mit Macron als Christus in Leonardo da Vincis "Abendmahl". Staatsritual und Spottkultur gehen zusammen. Der einzige Präsident, der bisher die Symbole auf seinem Foto auf ein Mindestmaß reduzierte, war Giscard d'Estaing. Er ließ sich vor einem abstrakten blau-weiß-roten Hintergrund ablichten. Mit seinem jugendlichen Erneuerungswillen hat Macron manches mit ihm gemein. In Stil und Geist ist er genau das Gegenteil: süchtig nach Tiefen- und Nebenbedeutung.

© SZ vom 01.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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