Hörstück:Nie wieder

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Eine nachgetragene Freundschaft: Aus zwei Perspektiven erzählt "Mein Freund Lennie oder Die Reise" die Geschichte einer Irrfahrt im Nachkriegsdeutschland von 1945 und eines Wiedersehens in den USA mehr als 70 Jahre später.

Von Stefan Fischer

Sie sind dann einfach losgegangen, der elfjährige Ulrich und der zwölfjährige Lennie. Irgendwie mussten sie schließlich nach Hause kommen, im Juni 1945. Zehn Tage lang sind sie durch das Chaos des Kriegsendes gezogen, aus der Nähe von Ulm nach Norden, der eine in Richtung Würzburg, der andere nach Frankfurt. In Aschaffenburg haben sich die Wege von Ulrich Gerhardt und Leonhard Cujé getrennt - "und Adressen tauscht man als Elfjähriger nicht aus".

Die beiden haben einander nicht wiedergesehen nach der befremdlichen Irrfahrt und haben auch nicht mitbekommen, dass der eine, Cujé, in den USA ein erfolgreicher Jazzmusiker geworden ist und der andere, Gerhardt, in Deutschland einer der wichtigsten, stilsichersten Hörspielregisseure: Gerhardts Inszenierungen sind mehrfach als Hörspiele des Jahres ausgezeichnet worden. Gegen Ende seiner Karriere nun erzählt der Regisseur, der so viele Stoffe bedeutender Autoren wie Friedricke Mayröcker, Rolf Dieter Brinkmann, W. G. Sebald oder Thomas Bernhard fürs Radio adaptiert hat, seine eigene Geschichte.

Mein Freund Lennie oder Die Reise handelt von dem gemeinsamen Abenteuer, erzählt wird erst aus Gerhardts und dann aus Cujés Perspektive. Vergleichbare Erinnerungen, in denen das Ende des Faschismus zusammenfällt mit dem Erwachsenwerden ihrer Erzähler, kennt man auch von anderen Vertretern ihrer Generation, den Autoren und Filmemachern Alexander Kluge und Oliver Storz etwa.

Es geht aber noch um eine zweite Reise: die des Regisseurs in die USA, wo sich Cujé und er wiedersehen, nachdem Gerhardt den Freund doch noch aufgespürt hat. So entdeckt er in seiner eigenen Geschichte doch wieder die eines anderen. Im zweiten Teil des aberwitzigen Hörstücks geht es viel um die Civil-Rights-Bewegung in den USA, in der Cujé als Weißer mitten drin steckte, durch seinen Umgang mit überwiegend schwarzen Musikerkollegen. Anders als Gerhardt war er ein zweites Mal in seinem Leben, nach der Kindheit im Nationalsozialismus, von einer gesellschaftlichen Denkweise umgeben, die ihm zuwider ist.

Mein Freund Lennie oder Die Reise , DKultur, Sonntag, 18.30 Uhr.

© SZ vom 15.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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