Dokumentationen über die Verfolgung und Vernichtung der europäischen Juden entdecken eine neue Aufgabe: Sie reflektieren die Umstände, unter denen historische Aufnahmen gedreht und verbreitet wurden. Kürzlich tat das Night Will Fall, die Rekonstruktion eines 1945 groß angelegten, nie fertiggestellten britischen Films. Nun folgt Die Grauen der Shoah, dokumentiert von sowjetischen Kameramännern.
Die Dokumentation von Véronique Lagoarde-Ségot geht von der These aus: Die sowjetischen Kriegsberichterstatter, die mit der Kamera die Rote Armee begleiteten, sollten Bilder liefern, die propagandistisch auswertbar waren. Diesen Zweck, das bleibt ungesagt, verfolgten Heeresdokumentarfilme überall. Doch Aufnahmen, die die jüdische Identität der Opfer zeigten, etwa einen Stern am Mantelärmel, wurden in den Moskauer Studios herausgeschnitten: Der Mord an den Juden galt undifferenziert als Mord an der Zivilbevölkerung. Nicht anders, auch das bleibt leider ungesagt, waren noch nach dem Krieg Dokumentarfilm-Kompilationen der westlichen Alliierten vorgegangen. Fatal wird es, wo der Film einem Umkehrschluss aufsitzt und Material deutscher Soldaten sowie litauischer und ukrainischer Sympathisanten einmontiert, die Ausschreitungen und Erschießungen filmten. Gleichzeitig hören wir: "Um die Opfer als Juden zu identifizieren, müssen wir uns die deutschen Aufnahmen ansehen." Das ist, als läge die Wahrheit bei den Tätern.
Die Grauen der Shoah, dokumentiert von sowjetischen Kameramännern , Arte, 21.55 Uhr.