Helmut Brandstätter:"Kurz ruft auch höchstpersönlich an"

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Rücktritt als Kurier-Chefredakteur: Helmut Brandstätter. (Foto: imago/Future Image)

Sein Amt als Herausgeber der österreichischen Tageszeitung "Kurier" ist er seit Mittwoch los. Jetzt rechnet der Journalist ab mit der Medienpolitik der gestürzten Regierung seines Landes.

Interview von Oliver Das Gupta

Helmut Brandstätter hat einen Schlussstrich gezogen. Am Mittwoch wurde bekannt, dass er als Herausgeber der österreichischen Tageszeitung Kurier aufhört - er beende seinen Vertrag vorzeitig und einvernehmlich. Der 64-Jährige ist einer der renommiertesten Journalisten seines Landes. Der "Bauernsohn aus Niederösterreich" (Brandstätter über Brandstätter) berichtete unter anderem für den ORF aus Bonn und Brüssel, war Chef des Nachrichtensenders n-tv und gründete den österreichischen Privatsender Puls-TV mit. Zwischen 2010 und 2018 war er Chefredakteur des Kuriers, Herausgeber war er seit 2013. Brandstätter ist ein scharfer Kritiker der nach dem Ibiza-Skandal zerbrochenen Bundesregierung aus konservativer ÖVP und radikal rechter FPÖ. In diesen Tagen erscheint sein Buch "Kurz & Kickl - Im Spiel mit Macht und Angst", in dem er von systematischem Druck auf Journalisten im Politikbetrieb berichtet.

SZ: Herr Brandstätter, wie kommt es, dass Sie unmittelbar nach dem Ende der Kurz/Strache-Regierung eine so drastische Abrechnung herausbringen?

Helmut Brandstätter: Die ersten Notizen habe ich schon gleich nach der Bildung der Koalition von ÖVP und FPÖ Ende 2017 gemacht. Meine These war, dass diese Koalition schon bald vorbei sein würde. Lange bin ich davon ausgegangen, dass die rechte Regierung an einem Nazi-Skandal zerbricht.Doch es kam anders: Das von SZ und Spiegel veröffentlichte Ibiza-Video der FPÖ-Größen Strache und Gudenus führte indirekt zum Ende des ÖVP/FPÖ-Bündnisses. Es waren die im Video ausgesprochenen, mutmaßlichen Korruptionsversuche. Aber es gibt noch einen weiteren Grund für das Buch. Ich habe Veränderungen in Österreich wahrgenommen, die ich in dieser Form noch nicht erlebt habe.

Sie sprechen vom Versuch, Österreich in "einen Staat mit starken autoritären Tendenzen" zu machen, Sie heben den zwischenzeitlichen FPÖ-Innenminister Herbert Kickl hervor. Was meinen Sie damit?

Kickl wollte den Polizei- und Sicherheitsapparat grundsätzlich verändern. Ausrichten wollte er die Behörden auf Loyalitäten ihm und der FPÖ gegenüber und nicht mehr dem Staat gegenüber. Auch frühere Innenminister von ÖVP und SPÖ haben sicherlich ihr Amt für parteipolitische Zwecke eingesetzt. Parteibuchwirtschaft spielt in unserem Land seit jeher leider eine viel zu große Rolle. Die FPÖ hat dieses System nicht nur kopiert, sondern noch zusätzlich autoritäre Strukturen aufgebaut, und sie wollte sie auf Dauer auslegen. Kickl wollte sie in den nächsten Jahren implementieren, was nicht geklappt hat. Doch wenn er und die FPÖ das geschafft hätten, würden viele Menschen, darunter ich, nicht mehr in Österreich leben wollen.

Den Staatsapparat auf persönliche Loyalitäten ausrichten - das klingt nach Ungarn unter Orbán.

Ja, das wäre ein ungarischer Weg gewesen. Das zeigen ja auch die Szenen im Ibiza-Video, in denen Strache von einer Medienlandschaft träumt wie in Ungarn. Wer die Demokratie zerstören will, muss ihre Institutionen zerstören. Das hat schon unter Straches Vorgänger Jörg Haider begonnen. Der hat als FPÖ-Chef massive Angriffe gegen den Verfassungsgerichtshof unternommen. Punkt zwei sind die Polizeibehörden, die genauso auf Linie gebracht werden wie, Punkt drei, die Medien.

In Österreich kam es schon vor Antritt der Kurz/Strache-Regierung immer wieder vor, dass Journalisten, Zeitungen und Sender von Politikern und deren Mitarbeitern unter Druck gesetzt wurden. Was hat sich nun verändert?

Es stimmt, schon früher hat die Politik-Seite versucht, Einfluss auf Medien zu nehmen. Doch jetzt wird noch früher angesetzt. Die Methode Kurz lautet: Wir machen die Schlagzeilen selbst. Sein Team hält eigenständigen Journalismus eher für überflüssig. Stattdessen erzeugen Kurz' Presseleute Geschichten und Fotos, damit die Botschaften so dargestellt werden, dass es der Volkspartei nützt.

Schaltet sich Kurz selbst ein oder schickt er seine Sprecher?

Kurz ruft auch persönlich in Redaktionen an. In einem Fall hat Kurz bei einer Nachrichtenagentur angerufen und wollte, dass der Redakteur den Zwischentitel seines Textes ändert.

Das ist noch keine Drohung.

Keine direkte, aber eine indirekte. Es geht nämlich nicht nur um Detailarbeit, sondern vor allem um wirkmächtige Signale: Wir überwachen alles, wir merken alles; ihr müsst schon vorsichtig sein; wenn ihr macht, was wir wollen, habt ihr keinen Ärger. Das wird so nicht ausgesprochen, aber so lauten die Botschaften. Es gibt die Gefahr, dass diese Botschaften ankommen in einem Beruf, wo immer wieder Arbeitsplätze zur Disposition stehen. Das wissen diese Herrschaften.

Welche Auswirkungen hat das?

Jedenfalls große Verunsicherung. Das gefällt gewissen Politikern. Man ist dann eher bereit, dem Anrufer den Gefallen zu tun, da wird dann eben eine Passage im Text abgeändert oder bei einem Interview ein bestimmtes Thema nicht angeschnitten. Das hat Methode - und es ist eine extrem gefährliche Methode.

Sie sprechen immer wieder von "Inseratenkorruption" im österreichischen Medienbereich. Was bedeutet das?

Während in unserem Land die staatliche Parteienförderung ständig erhöht wird - auch Kurz hat das getan - werden die vom digitalen Wandel ohnehin betroffenen Medien ausgehungert. Ausnahme sind die Zeitungen und Zeitschriften, die lieb schreiben. Die bekommen viele Millionen in Form von Anzeigen. Die Regierenden, nicht nur ÖVP und FPÖ, sondern auch die SPÖ, versuchen also, Medien durch öffentliche Gelder - sagen wir es freundlich - positiv zu stimmen. Darum verwende ich - weniger freundlich, aber treffend - das Wort "Inseratenkorruption".

Sie hatten zwischen 2005 und 2010 selbst eine Agentur für Beratung und Kommunikation, standen also auf der anderen Seite der Medienlandschaft. War Druck da manchmal ein Mittel?

Nein, natürlich nicht. Politikberatung habe ich ohnehin kaum gemacht. Mein Schwerpunkt lag auf der Unternehmensberatung, zum Beispiel hinsichtlich von Strategien und Medientrainings. Natürlich habe ich vertraulich agiert, in einem Fall kann ich darüber sprechen, weil mein Klient es selbst öffentlich gemacht hat. Kardinal Christoph Schönborn, der Erzbischof von Wien, hat um meinen Rat gebeten. Da ging es um Krisenkommunikation, als die Missbrauchsfälle publik wurden. Auf die Idee, einen Journalisten anzurufen und Druck zu machen, wäre ich nicht im Traum gekommen.

Das macht in einer freien Gesellschaft ja auch wenig Sinn.

Stimmt. Außer man ändert das ganze System. Wir müssen uns hier in Wien nur zwei Stunden in den Zug setzen Richtung Budapest, um zu sehen, dass das möglich ist. Und wir alle helfen über die EU, dem dortigen System zu bestehen. Brüssel sollte mal genauer hinschauen, was die EU in Ungarn mit Geld fördert.

Sie haben viele Jahre auch in Deutschland als Journalist gearbeitet. Behandelt der Medienbetrieb in Österreich Mächtige weniger kritisch?

Sagen wir es so, man muss in Österreich vorsichtig sein, wenn man sagt: Der Kaiser ist nackt. Weil dann nicht wenige sagen: Das darf man doch nicht. Auch das hat mich begleitet in den letzten Wochen, bevor das Buch rausgekommen ist. Oft wird mir gesagt: Das schadet dir nur, die werden auf dich schießen, die nehmen sich deine Familie vor. Und: Warum machst du das?

Wie lautet Ihre Antwort?

Weil ich nicht anders kann. Ich fürchte mich auch nicht. Es ist unsere Aufgabe zu sagen, was Fakt ist. Das ist unser Auftrag als Journalisten. In dem Moment, in dem man vor seinem Computer sitzt und sich fragt "Darf ich das schreiben oder schadet es mir?", ist der unabhängige Journalismus zu Ende.

© SZ vom 25.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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