Fußballmagazine:Heimvorteil

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Der "Kicker" gehört zu den ältesten deutschen Zeitschriften - und bekommt vermehrt Konkurrenz.

Von Anna Dreher

Manchmal, wenn sie zum ersten Mal in ihrem Leben über diese Türschwelle treten, wenn sie Stück für Stück das Haus erkunden, seine Geschichte hören und sehen, wie hier alles funktioniert, haben die Leute Tränen in den Augen. Sie sind dann so gerührt, dass sie ihre Emotionen nicht zurückhalten, weil sie endlich einmal in diesem Gebäude sind, das sie vorher nicht kannten, mit dem sie aber so viel verbinden. So viele Erinnerungen, schöne wie schmerzliche und auf jeden Fall unvergessliche. Erinnerungen, die in diesem Haus wach werden. Über dem Eingang sind sechs knallrote Buchstaben angebracht: Kicker.

"Die emotionale Bindung zu diesem Magazin, zu dieser Marke, ist unglaublich groß", sagt Jörg Jakob, Leiter der Kicker-Chefredaktion. "Wenn ich solche emotionalen Reaktionen bei Leserbesuchen sehe, bekomme ich Gänsehaut." Es schaffen wohl nicht viele Magazine, Leser bei Besuchen zu Tränen zu rühren . Der Kicker tut dies ja auch nur indirekt. Die Erinnerungen, die in der Redaktion des Sportmagazins mit heutigem Sitz in Nürnberg wachgerufen werden, sind weniger mit tollen Texten als vor allem mit Fußball verbunden, mit Siegen und Niederlagen, erzielten und verfehlten Toren. Aber kein anderes Magazin im deutschsprachigen Raum hat über einen ähnlich langen Zeitraum so ausführlich über die Gründe von Siegen und Niederlagen, erzielten und verfehlten Toren geschrieben. Erinnerungen an den Fußball sind oft auch Erinnerungen an den Kicker .

Künftig buhlt ein neues, tägliches Medium um die Aufmerksamkeit fußballinteressierter Leser. Von Freitag an erscheint die seit 26. August 2016 zum Start der neuen Bundesligasaison in München und Stuttgart getestete Fußball Bild des AxelSpringer-Verlags in ganz Deutschland. 32 Seiten für einen Euro. Ein interessantes Experiment: Bislang scheiterten jegliche Versuche, der spanischen, italienischen und französischen Tradition zu folgen und erfolgreich eine tägliche Sport- oder Fußballzeitung auf dem deutschen Markt zu etablieren. 2010 startete der Sport-Tag, wurde jedoch nach nur vier Monaten wieder eingestellt. Springer veröffentlichte zur Fußballweltmeisterschaft 2006 täglich die B. Z. Sport - auch hier war nach kurzer Zeit Schluss. "Wir haben mit den vielen hervorragenden Sportteilen in Tageszeitungen und einem anderen Leseverhalten einfach einen ganz anderen Markt", sagt Jakob.

Der "Kicker" wird gekauft, weil er sachlich und vor allem sehr fachlich informiert und analysiert

Ein Markt, auf dem der Kicker sich schon seit dem 14. Juli 1920 wohlfühlt. Das Sportmagazin gehört zu den ältesten noch existierenden deutschen Zeitschriften. Noch immer wird er aus dem gleichen Grund wie damals gekauft: Nicht, weil man besonders schön geschriebene, humorvolle oder gar ironische Texte lesen will. Die stehen in 11 Freunde. Der Kicker wird gekauft, weil er sachlich und vor allem sehr fachlich informiert und analysiert. Über den Sport im Allgemeinen und über Fußball, Fußball - und Fußball.

Jeden Montag und Donnerstag erscheint das Magazin, für viele ist der Gang zum Kiosk oder Briefkasten ein lieb gewonnenes Ritual, das von kaum einem anderen Medium gestört worden ist. 68 Jahre hat es gedauert, bis der Axel-Springer-Verlag 1988 das Magazin Sport Bild in den Handel brachte, das zum ersten großen Konkurrenten des Kicker wurde. Die Boulevardversion sozusagen, mit einer ähnlichen Auflage - zuletzt verkaufte der Kicker zweimal pro Woche etwa 150 000 Hefte, die Sport Bild einmal 347 000. Die beiden Sportmagazine haben es aufgrund ihrer Verschiedenheit zu einer fast schon ausbalancierten Koexistenz gebracht. Der eher nüchterne Kicker und die boulevardeske Sport Bild, das ging und geht auch heute noch.

28 Jahre nach Gründung der Sport Bild will der Springer-Verlag also wieder ein neues Sportmedium auf dem deutschen Zeitschriftenmarkt etablieren. Während beispielsweise die Hamburger Morgenpost als Reaktion darauf ihre Sportberichterstattung ausweitet und künftig mit einer herausnehmbaren, ebenfalls täglich erscheinenden Sportbeilage erscheint - die bislang nur sonntags und montags während der Saison erhältlich war -, vertraut man beim Kicker auf jenes Konzept, das jahrzehntelang funktioniert hat.

"Ich sehe im Moment keinen Grund zu Veränderungen bei uns. Wir sind immer noch eine Institution, das merken wir auch anhand der Rückmeldungen, die wir von Lesern, Kollegen, aber auch Trainern, Spielern und Managern bekommen", sagt Jakob. Was für die Inhalte des Magazins stimmen mag, gilt nicht für die Verbreitungswege: Die tagesaktuelle Berichterstattung spielt sich auch beim Kicker längst auf Homepage, App und sozialen Kanälen ab. "Wir stellen uns vor allem auf das veränderte Mediennutzungsverhalten ein und orientieren uns daran."

Für ihn geht die Rechnung so auf: Wer täglich informiert werden will, kauft sich eine Tageszeitung oder schaut online nach. Der Kicker liefert dann die Hintergründe, Einschätzungen und tieferen Analysen. "Es gibt inzwischen genug Plattformen, auf denen sich wirklich jeder zum Fußball äußern kann", sagt Jakob. "Nur: Die Analyse, das Fachliche, wer wie gespielt hat und warum - das bekommt man in dieser Form eben nur beim Kicker."

Dass der deutsche Fußball mit der Nationalmannschaft und auf Vereinsebene auch international so erfolgreich gewesen ist und Liga und Spieler auch im Ausland auf großes Interesse stoßen, hat dem Kicker geholfen, seinem Konzept treu bleiben zu können. Die Faszination für den Fußball ist größer denn je - und damit auch die Nachfrage nach Informationen aus einer Welt, die den meisten Menschen nicht wirklich zugänglich ist.

Ganz ohne Veränderungen ging es aber auch bei dem Traditionsheft nicht. Die Auflage ging in den vergangenen zehn Jahren deutlich zurück. Die Montags- und Donnerstagsausgabe alleine reichen schon lange nicht mehr aus. Neben einem größeren Angebot im Printbereich durch Sondereditionen zu besonderen Sportereignissen, Extraheften zu Jubiläen und den verschiedenen Wettbewerben sowie einer Reihe zu Fußball-Persönlichkeiten wurde der digitale Bereich auch im Nicht-Fußball erweitert. Inhaltlich wie personell.

Von 2013 bis 2016 sei die Reichweite durch die seit 1997 existierende Homepage von sieben auf zehn Millionen Menschen gestiegen. Was im gedruckten Kicker fehlt, soll so abgedeckt werden, ohne sich von der eigenen Philosophie zu entfernen. "Die Berichterstattung über Fußball ist unser Markenkern, unser Herz", sagt Jörg Jakob. "Der Kicker verändert sich in der Printwelt evolutionär und nicht revolutionär. Manche Leser sind seit 50 Jahren dabei - da muss man vorsichtig mit Veränderungen sein, das geht nicht radikal."

© SZ vom 18.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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