Früher blond, heute cool:Goodbye, Kelly Bundy!

Lesezeit: 2 min

Wucht der Verzweiflung: Jen Harding (Christina Applegate). (Foto: Saeed Adyani/Netflix)

Die Netflix-Serie "Dead to Me" ist für Christina Applegate ein Befreiungsschlag - sie kann ihre Klasse zeigen, nachdem sie jahrelang Frauenrollen spielte, die sich vor allem über Männer definierten und auf Körperlichkeit reduziert wurden.

Von Theresa Hein

Wer heute an Kelly Bundy aus Eine schrecklich nette Familie denkt und in seinem Neunziger-Gedächtnis kramt, dem kommt nicht gerade die schauspielerische Qualität von Christina Applegate in den Sinn. Sondern eine schrille, leicht bekleidete junge Frau, die Treppen rauf und runter läuft, um sich für ihr Date mit dem nächsten schmierigen Typen zurechtzumachen.

Applegate blieb bis in die 2000er mit der Rolle der Kelly Bundy - sexy, aber nicht gerade intelligent - verbunden, was allerdings wenig über sie aussagt. Und sehr viel über Zeit, Zuschauer und Macher von Eine schrecklich nette Familie. Mehrheitlich männliche Regisseure und Drehbuchautoren manifestierten, was sie von attraktiven, blonden Frauen hielten.

Später veränderten sich die Charaktere, wenn auch zunächst minimal. Rollen in Anchorman und Friends räumten Applegates humoristischem Können mehr Platz ein, zeigten sie aber weiterhin als Frau, die sich über Männer definierte.

Einer neuen Netflix-Serie könnte es nun sowohl gelingen, Christina Applegate jüngeren Zuschauern nahezubringen als auch älteren mit dem vorbelasteten Bundy-Bild die Qualität dieser Schauspielerin. In Dead to Me spielt sie die verwitwete Immobilienmaklerin Jen Harding, die eine Fremde (Linda Cardellini) bei sich einziehen lässt. Wenn Jen dieser Judy erklärt, dass ihr Sohn in einem Vogel eine Reinkarnation seines toten Vaters sieht, und selbst so offensichtlich nicht weiß, ob sie lachen oder weinen soll, toppt das jeden Kelly-Bundy-Flachwitz um das Hunderttausendfache.

Die Serie ist für die Schauspielerin ein Befreiungsschlag. Die Übergänge von der zynischen, perfekt gestylten Kalifornierin zur trauernden Witwe sind glatt und lückenlos gespielt (wenn auch manchmal etwas konstruiert geschrieben). Selbst die ebenfalls überzeugende Kollegin Cardellini ( Mad Men) hält da nicht mit. Applegate entwickelt in der Serie, die sich zwischen Thriller, schwarzer Komödie und Drama nicht recht entscheiden kann, eine enorme Wucht. Nicht ganz genug, um die nervigen Plattitüden im Skript, die schwächeren Witze und den erwartbaren Plot komplett zu übersehen. Aber doch so viel, dass der komische Aspekt eindeutig überwiegt. Das ist Applegates Verdienst, denn als Serie, die sich selbst zu ernst nimmt, würde Dead to Me nicht funktionieren.

Als lange verdiente Parade der Hauptdarstellerinnen dagegen funktioniert sie sehr gut. Dead to Me fehlt der Baseballschläger-Zynismus eines Larry David oder das zehenspitzige Drama eines Matthew Weiner, um popkulturell wichtig zu sein. Sehr sehenswert ist sie trotzdem. Nicht nur, weil man erlebt, wie Christina Applegate, die lange so auf ihre Körperlichkeit reduziert wurde, sich befreit. Sondern auch wegen der paradiesischen Bilder der US-Westküste von Kameramann Daniel Moder. Den kennen Sie nicht? Auch das ist nur eine Definitionsfrage: Moder ist der Ehemann von Julia Roberts.

Dead to Me , bei Netflix.

© SZ vom 07.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: