Fritz-Lang-Remake:Der nackte Minister

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Die Serie "M - Eine Stadt sucht einen Mörder" von David Schalko ist ein Wiener Schocker im Zeichen von Populismus und Hysterie. Oder doch eine Satire?

Von David Denk

Die Wiener Polizei (hier Murathan Muslu, l., Gabriel Barylli) versucht alles, um den unheimlichen Kindermörder zu finden. (Foto: TV Now)

Mutterseelenallein sitzt der Verleger im Schneidersitz auf dem Fußboden seines futuristischen Medienhauses und telefoniert mal wieder mit dem Innenminister. Den erreicht er an dessen Lieblingsplatz: vor dem Spiegel. Nicht selbstverständlich, dass der Herr Minister (Dominik Maringer) dabei bekleidet ist. In Wien herrscht eine Ausgangssperre, die er verhängt hat. Sicher ist sicher, und sicher kommt ihm gerade recht. Vier Kinder sind einem Unbekannten zum Opfer gefallen. "Was wird jetzt passieren, wenn Sie den Mörder gefasst haben? Dann wird das Feuer wieder erlöschen", prophezeit der Verleger (Moritz Bleibtreu). Und der Minister entgegnet: "Einen Kamin muss man nicht nur entzünden, man muss das Feuer auch halten. Dafür braucht man genügend Holz. Und wir haben genügend Holz." - "Oh ja, Flüchtlinge, Islam, Sozialneid, direkte Demokratie, blabla." - "Und die Freigänger! Wir haben genügend Fische freigelassen, um reichlich zu ernten."

Koautor (mit Evi Romen) und Regisseur David Schalko erzählt in M - Eine Stadt sucht einen Mörder , basierend auf dem gleichnamigen Fritz-Lang-Filmklassiker von 1931, von einer hysterischen, paranoiden österreichischen Gesellschaft im Jahr 2018, die jedes Maß verloren hat und sich bereitwillig ihrer Freiheit berauben lässt. Polizei und Unterwelt bemühen sich gleichermaßen, den Täter zu fassen, den sie als Bedrohung für ihr Lebens- beziehungsweise Businessmodell begreifen: "Wir lassen uns doch von einem Psychopathen nicht unser Geschäft zusammenhauen."

Als er Langs Original vor fünf Jahren noch einmal gesehen habe, erzählte Schalko nach der Weltpremiere auf der Berlinale, sei er fasziniert gewesen von den politischen Parallelen, "die vielleicht in Österreich stärker sind als in Deutschland". Im Publikum im Zoo Palast saß auch der ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz, von dem nicht bekannt ist - auch Schalko nicht -, ob und wenn ja wie häufig er mit dem tatsächlichen österreichischen Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) telefoniert, an dem Schalko in Interviews kein gutes Haar lässt ("eine richtige Prinzessin").

Auf der Spur von Fritz Lang: Der österreichische Regisseur, Autor und Produzent David Schalko stand bisher eher für ein eigenwilliges Humorgenre. (Foto: Ingo Pertramer)

In M - Eine Stadt sucht einen Mörder stecken Politik und Medien jedenfalls unter einer Decke, machen gemeinsam Stimmung und schaffen so Fakten. Ein ständiges Geben und Nehmen, von dem beide Seiten profitieren. Auch wenn das sicher nicht intendiert war, beglaubigt die Serie mit ihrem hyperrealistischen Gestus auf diese Weise doch, was viele schon immer geahnt, wenn nicht gar gewusst haben. Sie gießt durch die Bestätigung solcher Die-da-oben-Ressentiments ausgerechnet Wasser auf die Mühlen derjenigen, mit denen Schalko politisch eigentlich so gar nichts am Hut hat.

M- Eine Stadt sucht einen Mörder gefällt sich jedenfalls allem Anschein nach darin, ein gesellschaftskritisches Zeitdokument zu sein, ein Kommentar zu (Rechts-)Populismus und der Verkommenheit der Eliten, Dringlichkeits-Fernsehen. Oder ist hier in Wahrheit eine Satire entstanden? Man weiß es nicht - und genau das ist ein Problem.

Nach der Weltpremiere auf der Berlinale machte sich eine gewisse Ratlosigkeit breit. Entsprechend verhalten fiel der Applaus aus, viele waren zu beschäftigt damit, sich am Kopf zu kratzen. In Sachen Skurrilität steht M - Eine Stadt sucht einen Mörder Schalkos früheren Arbeiten wie Braunschlag oder Altes Geld in nichts nach - aber wo ist der Humor geblieben? Sind die Zeiten wirklich so bitterernst? Lachen ist als Ausweg aus dieser Misere jedenfalls nicht vorgesehen. Katharsis? Fehlanzeige.

Aber M - Eine Stadt sucht einen Mörder ist nicht nur im Übermaß plakativ, sondern auch höchst artifiziell und hält den Zuschauer so zusätzlich auf Abstand. Die Besetzung ist schwindelerregend hochkarätig (Lars Eidinger! Sophie Rois! Udo Kier!); alle Schauspieler wären in der Lage, Figuren zu spielen, die anrühren oder auch abstoßen, doch Schalko verweigert seinem Ensemble wie dem Zuschauer jedwede psychologische Einfühlung oder gar Identifikation. Dazu passt, dass die Schauspieler über weite Strecken eher deklamieren als spielen (weswegen auch das überschaubare Schauspieltalent von "Ärzte"-Schlagzeuger Bela B. Felsenheimer nicht allzu sehr stört). Der theatrale Eindruck wird durch ein kulissenhaftes Bühnenbild-Wien und die vielen Monologe noch verstärkt. Bei Sophie Rois und Udo Kier ist man sich zudem nicht sicher, ob man es überhaupt mit Figuren zu tun hat oder aber eher mit Selbstdarstellung im Wortsinn.

Der Innenminister kungelt übrigens nicht nur mit dem Verleger, sondern hat auch eine Affäre mit der Polizeipsychologin (Julia Stemberger), die ihm hörig ergeben ist. "Ich will mit dir die schlafenden Hunde wecken, die uns zerfleischen", sagt er einmal zu ihr. Oder sie zu ihm? Wer auch immer es sagt und was auch immer das genau bedeuten mag: M - Eine Stadt sucht einen Mörder nimmt sich nicht nur sehr wichtig, sondern ist streckenweise auch erstaunlich peinlicher Edelkitsch.

© SZ vom 23.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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