B abylon Berlin war in jeder Hinsicht ein opulentes Rekordspektakel. Mit 40 Millionen Euro Budget gilt die schillernde Zwanzigerjahre-Kriminalgeschichte als teuerste deutsche Serie, die je gedreht wurde. Und gleichzeitig hat wohl kaum ein Projekt je zuvor so viel Personal erfordert. Gerade dreht die Produktionsfirma X Filme in der Hauptstadt die dritte Staffel - und an Spitzentagen sind gut 100 Menschen hinter der Kamera damit beschäftigt, das historische Berlin in Szene zu setzen. Zum Vergleich: Bei einem Tatort sind es an die 40. Und zählt man alle hinzu, die sich im Vorfeld um das originalgetreue Set sowie die Kostüme kümmern und im Nachgang die Postproduktion übernehmen, sind es gleich mehrere hundert. Und die muss man erst mal finden, denn inzwischen hat der Fachkräftemangel die Filmbranche erreicht.
Der Hype um Serien in Kinoqualität beschert Produktionsfirmen volle Auftragsbücher. Ein Boom, wie ihn zuletzt vor drei Jahrzehnten das junge Privatfernsehen auslöste. Die Gründe dafür sind vielfältig: Heute zählen Firmen wie Constantin Film, Bavaria Film oder die UFA nicht nur Fernsehsender zu ihren Auftraggebern, sondern auch Streamingplattformen wie Amazon und Netflix. Und neben Sky gibt jetzt auch die Telekom viel Geld für lokale Filmproduktionen aus. Gleichzeitig setzen Fernsehsender verstärkt auf Hausgemachtes und kaufen weniger in Hollywood ein. Sat 1 plant für dieses Jahr dreimal so viele eigenproduzierte Serien wie im Vorjahr. "Wir befinden uns in einem sehr starken Wachstum", sagt Bavaria-Film-CEO Christian Franckenstein. Was ihm jedoch Sorge bereitet, ist der enge Arbeitsmarkt. "Es herrscht Vollbeschäftigung." Die erhöhte Programmnachfrage trifft also auf einen Markt, in dem es personell nicht viel Luft gibt.
Gleichzeitig treten neue Konkurrenten im Kampf ums Personal auf: Große Konzerne bauen für die Kundenansprache eigene Einheiten auf, um ihre Produkte selbst in Szene zu setzen - Marken werden zu Medien. Dort winken Producern, Kameraleuten und Mediengestaltern dicke Schecks und geregelte Arbeitszeiten. Sehr zum Leidwesen der Filmproduzenten. Sie tun sich schwer, diesem Talenttransfer etwas entgegenzusetzen. "Im Moment steigt die Gehaltsnachfrage auf allen Ebenen", sagt Robin von der Leyen, Geschäftsführer und Produzent bei der Constantin Television. Fachleute könnten sich heute die Projekte nach Attraktivität aussuchen. Die Aussichten waren nie besser. Während er vor zwei, drei Jahren Bekannten, die ihre Kinder nach dem Abitur in der Filmbranche unterbringen wollten, stark abgeraten habe, könne er heute den Wunsch nach einer Karriere hinter der Kamera nur bekräftigen.
Auch Stefan Arndt, Geschäftsführer von X Filme und Produzent der preisgekrönten Serie Babylon Berlin, weiß kaum noch, wo er all die Fachkräfte für sein Großprojekt auftreiben soll. Die Situation sei inzwischen "äußerst problematisch". Im Markt fehlen Autoren, Produktionsleiter sowie Filmschaffende aus den Bereichen Aufnahme, Requisite und Postproduktion, aber auch Filmgeschäftsführer werden händeringend gesucht. Nur Regisseure und Filmproduzenten scheint es genug zu geben.
Aber nicht nur bei hochkarätigen Serien ist der Mangel groß, auch TV-Shows sind betroffen. In dem Genre hat sich ein regelrechter Wanderzirkus entwickelt: Formate wie Ich bin ein Star, holt mich hier raus, (RTL), Germany's Text Topmodel (Pro 7) und Promi Big Brother (Sat 1) können nicht parallel gedreht werden, weil viele Beteiligte von Projekt zu Projekt tingeln; die Sender müssen sich bei neuen Vorhaben absprechen. Der Geschäftsführer eines Senders erzählt, eine groß angelegte Reality-Show habe er auf 2020 verschieben müssen, weil vorher keine Fachleute mehr aufzutreiben gewesen seien.
Wer ins Filmgeschäft will, der sollte fit und stressresistent sein. Drehtage von zwölf Stunden und mehr sind eher die Regel als die Ausnahme. Festanstellungen bei öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern oder in einem Studio sind rar. Viele sind nur befristet fest angestellt, solange ein Projekt dauert, oder arbeiten als Freiberufler auf Honorarbasis. "Wir müssen ehrlicherweise auch zugeben, dass die Arbeitsbedingungen, die wir anzubieten haben, möglicherweise nicht mehr im Einklang stehen mit den Erwartungen der jüngeren Generation", sagt Bavaria-Film-Geschäftsführer Franckenstein. Befristete Arbeitsverträge, lange Arbeitstage, projektbezogene Einsatzorte, das seien nicht unbedingt Aspekte, die eine ausgeglichene Work-Life-Balance begünstigen
Storyliner ist wohl kein Job, um den sich junge Leute reißen - die Bewerbungsfrist wurde verlänger
Die Produzenten müssen etwas unternehmen. Constantin Film etwa plant nun mit Hochschulpartnern die Einführung eines dualen Studiengangs. "Mit dieser Initiative wollen wir besonders die Berufe im Produktionsbereich fördern", sagt Constantin-Geschäftsführer von der Leyen. "Hier fehlen uns die meisten Spezialisten." Die UFA, die auch Langzeitserien wie Gute Zeiten, schlechte Zeiten und Unter uns produziert, hat Anfang des Jahres eine Serienschule gegründet. Dort werden Talente ausgebildet, die Handlungsstränge für das Vorabendprogramm entwickeln. Die angehenden Storyliner entscheiden, wer liebt und wer leidet. Offenbar kein Job, um den sich gerade junge Leute reißen: Die Bewerbungsfrist wurde verlängert.
Ein weiterer Aspekt des Fachkräfteproblems: In vielen Bereichen wird heute fast komplett digital gearbeitet. Und zwar von der Aufnahmetechnik über die Postproduktion, bis hin zur Auslieferung. Die Prozesse werden immer schneller, die Jobprofile ändern sich, die Anforderungen an die Mitarbeiter steigen. "Wir müssen daher in Zusammenarbeit mit den Sendern, Produzenten, Universitäten, aber auch den Handwerkskammern Berufsbilder in allen Bereichen neu definieren und Ausbildungsgänge neu zusammensetzen", sagt Franckenstein. Mitarbeiter dagegen, die schon länger im Job sind, brauchen Fortbildungen, um mit der Entwicklung Schritt halten zu können. Sie sollen innerbetrieblich geschult werden: Mit dem angedachten Bavaria-Programm "Future Work Value" sollen Arbeitgeber und Arbeitnehmer in verpflichtende Weiterbildungsmaßnamen investieren.
Die Aus- und Weiterbildung in den unterschiedlichen Gewerken ist das eine, aber auch die akademische Ausbildung gewinnt noch stärker an Bedeutung. Sie hinkt den Anforderungen des modernen Filmmarktes derzeit noch stark hinterher. Vor allem die Bereiche visuelle Effekte und Animation sind ausbaufähig. So plant die Filmhochschule München (HFF) die Einführung eines Studienganges mit dem Schwerpunkt digitale Bildgestaltung. Die bayerische Regierung hat im vergangenen Sommer die Gelder dafür in Aussicht gestellt. Zusätzlich soll in München im Rahmen eines Innovationsbündnisses der bayerischen Kunsthochschulen ein "Digital Art Center" entstehen. Eine Art Experimentierfeld für Sounddesign und visuelle Erzählformen. Beim Thema Fachkräfteproblem verfolgt also jeder seine eigene Strategie, doch in einem Punkt sind sich alle einig: Es braucht mehr und höher qualifizierte Arbeitskräfte.
Ein Drehtag kostet heute zwischen 20 000 und 180 000 Euro. Wenn bei Rekordprojekten wie Babylon Berlin an Spitzentagen mehr als 100 Leute mitarbeiten, ist es umso wichtiger, dass jeder davon weiß, was zu tun ist. Denn, so fasst das Produzent Stefan Arndt zusammen: "Ein einziger Mitarbeiter kann einen Drehtag versauen."