Fernsehfilm:Entfesselte Antihelden

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"Good Guy" mit Dreck unter den Fingernägeln: Ronald Zehrfeld als Kevin in Wir waren Könige. (Foto: ZDF und Christian Stangassinger)

Sie stammen alle aus derselben Trabantenstadt, einige von ihnen sind kriminell, andere gehören zu einer Elite-Einheit der Polizei. Die Grenzen zwischen diesen beiden Welten verschwimmen in der Fernsehproduktion "Wir waren Könige" gefährlich oft.

Von Annika Domainko

Auf einer Bowlingbahn versammeln sich zwanzig Männer zum Gruppenfoto. Es blitzt, man sieht helle Silhouetten. Dann werden die Konturen unscharf, und die Männer auf dem Foto verschwinden als homogene Masse im Dunkeln. Wie ein Polaroid, das wieder schwarz wird.

Mit dieser unaufgeregten Szene blendet Drehbuchautor und Regisseur Philipp Leinemann Wir waren Könige nach 107 Minuten voll eskalierender Gewalt ab. Die Schlusssequenz bringt den Film in einem einfachen Bild auf den Punkt: Es geht um Grenzen und Konturen, die sich auflösen. Die Männer auf dem Foto gehören je zur Hälfte einer SEK-Einheit der Polizei und einer kleinkriminellen Jugendclique an. Alle leben sie in einer ungenannten deutschen Trabantenstadt, deren blasse, dunkle Farben an einen Film noir erinnern.

Die Welten der Gesetzeshüter und der Gang verschwimmen, als eine Reihe von Zufällen eine Gewaltkaskade lostritt. Am Anfang steht ein aus dem Ruder gelaufener Sondereinsatz: ein verletzter Polizist, zwei Tote, ein Verdächtiger auf der Flucht. Als kurz darauf zwei weitere Polizisten tot aufgefunden werden, sinnt die SEK-Truppe auf Rache - und tritt einen Tatverdächtigen aus der Jungs-Clique fast zu Tode.

Leinemanns Film konzentriert sich auf den Dreck unter den Fingernägeln der vermeintlichen "good guys". Misel Maticevic und Ronald Zehrfeld ( Im Angesicht des Verbrechens) geben die testosteron-schweren Alphatiere einer Eliteeinheit, die nicht als idealisierter Männerzirkel daherkommt, sondern direkt aus Gotham City stammen könnte: Sie sind entfesselte Antihelden, die moralische und professionelle Grenzen eintreten wie Pappwände.

Die Verwicklungen und Missverständnisse, die die Handlung vorantreiben, wirken zum Teil gewollt. Geschliffene Dialoge in gestochenem Hochdeutsch erwischen den Zuschauer auf dem falschen Fuß, denn storybedingt würde man eher mit Straßen-Slang rechnen.

Dafür entschädigt die visuelle Gestaltung des Films, für die Christian Stangassinger mit dem Bayerischen Filmpreis 2014 ausgezeichnet wurde. Die Kameraführung, die Farbgebung und das Spiel mit dem Tempo machen die Zerrissenheit der Protagonisten greifbar. Sie zeigen die vermeintliche Ausweglosigkeit und die zunehmende Eskalation.

Am Ende bleibt ein schales Gefühl, und Zehrfeld als SEK-Mann Kevin liefert das passende Schlussstatement zur verlorenen Polaroid-Aufnahme: "Was macht denn den Unterschied aus zwischen uns und denen?" fragt er. Dass sie als SEK damit durchkommen werden, lautet die lakonische Antwort eines Kollegen.

Wir waren Könige , ZDF, Freitag, 23.35 Uhr.

© SZ vom 16.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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