Dokumentation:Selten subtil

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Charlotte Roche reist in "Love Rituals" um die Welt. Die erste Folge führt sie nach Japan und zu einem Phallus-Festival - ein gelungener Auftakt.

Von Maresa Sedlmeir

Wer Charlotte Roche nicht mag, der wird auch mit Love Rituals nichts anfangen können. In dem Format ist sie nämlich nicht nur die Moderatorin, sondern auch die Off-Stimme, die Overvoice-Stimme und manchmal sogar die Kamerafrau.

Aber der Reihe nach. Charlotte Roche, Autorin von Feuchtgebiete, Moderatorin bei Viva und ZDF neo, und seit neuestem Podcasterin, macht sich in dieser neuen Arte-Reihe auf, die Liebesrituale weltweit zu erforschen.

In der ersten Folge geht es für Roche und ihr Team nach Japan. Man sitzt mit im Flugzeug, spaziert mit Roche durch Tokio, begleitet sie sogar ins Hotelzimmer. Dort filmt sie sich selbst mit ihrer Handykamera. Sie steht auf ihrem Bett und trägt einen typisch japanischen Schlafanzug und sieht darin aus wie ein kleiner weißer Kasten. Von solchen Momenten lebt dieses Format, das neben dem hohen Quatschfaktor viele spannende Infos liefert.

Anlass für Roches Reise ist das Kanamara-Matsuri-Festival in Kawasaki, was übersetzt so viel wie "Schwanz aus Eisen"-Festival bedeutet. Da lutscht man an Penislollis, trägt Brüstebrillen, alte Frauen schnitzen Glieder aus Rettich und übergroße Phalli werden auf Sänften durch die Stadt getragen. Eine Parade für die Fruchtbarkeit. Charlotte Roche wundert sich: Man sagt doch von den Menschen in Japan, dass sie eher prüde sind? Roche marschiert kurzerhand auf eine Mädchengruppe zu, setzt sich hin und quatscht sie auf Englisch an. Ob sie denn einen Freund hätten? Großes Gekicher. Wirklich äußern will sich keine.

Roche sucht sich jemanden, der gern mit ihr redet und noch dazu Experte ist: Der Publizist Kyoichi Tsuzuki zeigt Roche die "Lovehotels", in denen Japaner sich stundenweise einmieten können. Nur in der Öffentlichkeit, da sind Zärtlichkeiten tabu. Das wird in einer scheinbar nebensächlichen Szene deutlich. Ein Pärchen um die dreißig, er im Anzug, sie im Kostüm, geht mit Einkäufen die Straße entlang. Händchenhaltend. Als sie die Kamera bemerken, ziehen sie sofort die Hände vom anderen weg; die Frau versteckt ihre sogar panisch hinter ihrem Rücken.

Solche kleinen Momente bringt man nicht wirklich mit der Phallusparty auf den Straßen Kawasakis zusammen. Wie kann das sein? Charlotte Roche fragt nach, ein Priester gibt Aufschluss: Früher war Sex nicht mit Schuld behaftet, erst die Christianisierung Japans im 19. Jahrhundert habe dazu beigetragen, dass das Land immer prüder wurde.

Kyoichi Tsuzuki sieht das nicht so. Roche und er sitzen in einer Karaokebar auf zerschlissenen Samtstühlen, Schnapsflaschen an den Wänden, kitschige Figürchen stehen herum, der Barkeeper mixt sahnige Cocktails. Roche und Tsuzuki philosophieren über Japans Liebesleben. Das ist ziemlich lustig: Als die beiden Geisha-Glückskekse essen, untersuchen sie die Bildchen, die bei den Keksen in der Packung stecken. Auf einem steht "Mein Gönner gab mir Zärtlichkeit, also säubere ich sein Ohr". Dahinter verbirgt sich eine Sexstellung, in der die Frau während des Akts dem Mann das Bein um den Kopf schlingt, um mit ihrem Zeh sein Ohr auszupulen.

Ein bisschen gruselig wird es dann, als Tsuzuki die Werbung für eine Hologrammfrau präsentiert. Jeden Tag weckt sie ihren Schatz und erinnert ihn an seinen Regenschirm. Die Hologrammfrau - eine animierte Alexa. Tsuzuki meint, er kenne keine einzige Frau, die so unterwürfig ist, höchstens eine Geisha.

Auch die besucht Charlotte Roche und gibt zu: "Mich schüchtert das hier etwas ein, alles geht so förmlich zu." Trotzdem hakt sie nach. Später läuft sie dann auf 50-Zentimeter-Geisha-Highheels durch den Raum. Ein gelungener Auftakt für Love Rituals. In weiteren Folgen wird Charlotte Roche unter anderem Kenia, Indien und Israel besuchen. Und auch hier wird sie nachfragen: selten subtil und immer witzig.

Love Rituals - Mit Charlotte Roche in Japan , Arte, 21.35 Uhr.

© SZ vom 28.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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