Dokumentation:Die Neuen im Stau

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Was hilft den Städten? Ein SWR-Film hinterfragt die Nachhaltigkeit von smarter Mobilität und zeigt, wie stark sich zum Beispiel beim Carsharing Marketing und Realität unterscheiden können.

Von Jan Schwenkenbecher

Es ist der Glaube an den Green New Deal, der dieser Tage viele Menschen ruhig schlafen lässt. Green New Deal, das ist die moderne Variante des von Franklin D. Roosevelt geprägten Begriffs New Deal, unter dem er mit Sozial- und Wirtschaftsreformen die Wirtschaftskrise der späten 1920er-Jahre bekämpfte. Heute ist der Green New Deal der Glaube daran, dass kluge Menschen sich schon kluge Sachen überlegen werden, um die lästigen Probleme dieser Zeit zu lösen: Ressourcenknappheit, Klimawandel, Verkehrschaos in Ballungsräumen. Ein Ansatz ist Carsharing.

Hunderte Wagen groß sind die Flotten der großen Anbieter in Großstädten wie Berlin und München, darunter nicht nur Kleinwagen, sondern auch schicke Limousinen. Per Smartphone können Anwohner die überall geparkten Carsharing-Autos buchen, die eigenen Pkw können in der Garage bleiben oder müssen gar nicht erst angeschafft werden. In Hannover oder Berlin werden zudem sogenannte Ridesharing-Angebote getestet. Um die ja meistens unausgelastete Kapazität von Autos besser zu nutzen, können sich Nutzer hier die Rückbank eines Sammeltaxis mit anderen Fahrgästen teilen, die in dieselbe Richtung wollen. Das Versprechen: weniger Autos auf den Straßen, weniger Smog in der Luft. Ob das so funktioniert, wie es Anbieter, Autolobby und selbst die Regierung versprechen, untersucht nun eine SWR-Dokumentation im Ersten.

Ihr erstes Drittel verschwendet die Doku leider, um anhand zweier Pendler-Protagonisten zu belegen, was ohnehin jeder weiß: in Großstädten, Beispiel München, gibt es viel Verkehr, und der Weg zur Arbeit nervt, ganz egal ob im Auto oder der S-Bahn. Wer zu spät einschaltet, weil die Parkplatzsuche vielleicht doch mal wieder länger dauerte, verpasst hier nichts. Dann aber brechen die Filmemacher mit dem Erwartbaren: Tilman Santarius, Professor für Sozial-Ökologische Transformation an der Technischen Universität Berlin, weckt einen ersten Zweifel an der vermeintlich so nachhaltigen Lösung Carsharing. Die Automobilindustrie kämpfe gegen schwindende Absatzzahlen. "Smart" und "digital" seien Verkaufsargumente, um in Städten überhaupt noch relevant zu bleiben.

Schonungslos zeigt die Doku den Kontrast zwischen Anbieter-Marketing und Realität. Werbung: "Mehr Carsharing, weniger Autos." Befragter Ride-Sharing-Fahrgast: "Ich wäre sonst Bahn gefahren." Letzteres gilt für nahezu alle Befragten. Sie wären Bus oder Bahn gefahren - was sowohl Klima als auch Verkehr besser bekommen wäre. Mit ihrem Kronzeugen Professor Santarius und ausgewählten wissenschaftlichen Studien belegen die Filmemacher Heiner Hoffmann und Achim Reinhardt vorbildlich ihre These zum Carsharing: Autofahrer verzichten nicht aufs Auto, stattdessen können Nicht-Autofahrer endlich mal Auto fahren.

Wem diese Analyse nicht genügt, der blicke gen San Francisco. Die kalifornische Metropole ist eine Hochburg des Taxi-Konkurrenten Uber. Mehr als 45 000 registrierte Uber-Fahrzeuge und mehr als 9000 aktive Fahrer jeden Tag prägen das Stadtbild. Die Bahnen sind leer, die Straßen voll. Der Autor Steven Hill hat ein ganzes Buch dazu geschrieben. Dem Filmteam sagt er, Uber habe in jeder Stadt, in welcher der Dienst angeboten würde, unzählige Staus verursacht. Das Problem sei so groß, dass Bewohner bereits ein neues Wort kreiert hätten. Basierend auf "uber" - englisches Präfix, das sich wohl am ehesten mit "mega" übersetzen lässt - spreche man schon vom sogenannten Uber-Stau.

Letztlich ist die Dokumentation zu kurz, um Alternativen zu untersuchen. Die im Untertitel gepriesene "Mobilität von morgen" beschränkt sich allein auf Car- und Ridesharing. Wie der Großstadtverkehr in 30 Jahren aussehen könnte, ob man kostenlosen Nahverkehr, Autoverbote oder digital vernetzte autonome Fahrzeuge braucht, ist kein Thema. Dafür spielen die Macher von "Report Mainz" ihre Qualitäten voll aus und zeigen, wie von Carsharing-Lobbyisten verfasste Textbausteine ihren Weg in den aktuellen Koalitionsvertrag fanden. Sehr sehenswerte 30 Minuten, die besonders jene zum Nachdenken anregen dürften, die beharrlich auf Sharing Economy als Lösung für die Probleme der Zeit setzen.

Mit Vollgas in den Verkehrskoll aps - Der Kampf um die Mobilität von morgen, Das Erste, 21.45 Uhr.

© SZ vom 30.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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