Dokumentation:Der kommende Aufstand

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Claus Kleber war im Silicon Valley und gibt in einer Welt des radikalen Wandels den Markenbotschafter der Zögerlichkeit. Entstanden ist ein großartiger Film.

Von Claudia Tieschky

Claus Kleber hat kurz mal das Studio des ZDF- Heute-Journals verlassen. Was dann passierte, sieht man in dieser Dokumentation; Kleber bereist vorbildlich gescheitelt Silicon Valley. Eigentlich tut er genau das, was heute jeder Was-mit-Medien-Mensch macht, bei Springer bildete man zur digitalen Fortbildung bekanntlich sogar eine Reisegruppe. Der normale Kalifornien-Pilger schreit dort Juhu und kommt so erleuchtet zurück, als wäre ihm der Heilige Geist oder zumindest Henry Miller in Big Sur erschienen. Dagegen die beharrliche Begeisterungsferne eines Claus Kleber! Man möchte ihm fast sagen: Mann, hab doch nicht vor allem Angst.

Kleber ist ganz offensichtlich als Markenbotschafter der Zögerlichkeit zur Besichtigung angereist und findet einen Landstrich voller Labore des Fantastischen - gepäppelt mit dem Megakapital und der Technik der Internet-Milliardäre. In der nächsten Stufe der Digitalisierung, soviel ist klar, verlassen die Technologien aus Kalifornien endgültig die Web-Sphäre und revolutionieren die analoge Welt wie wir sie kennen. Die Biotechnologie und ihre Medikamente, selbstfahrende Autos, Kleider aus dem 3D-Drucker, virtuelle Universitäten für das lebenslange Lernen und dazu diese ganze irre entspannte Start-up-Clique, die vorgibt, man wolle erst mal die Welt verbessern. Kleber sieht das nicht als faszinierende Entwicklung, sondern betrachtet es zutiefst skeptisch. Er wittert sogar das Böse hinter Computerspielen zur Gehirnoptimierung, die Beweglichkeit, schnelle Reaktion und das Coolbleiben dabei verlangen - selbst wenn das so ziemlich die gleichen Fähigkeiten sind, die jede Dance-Moves-Stunde im Fitness-Studio trainiert.

"Jetzt ist die aufregendste Epoche der Geschichte". Aber was wird aus uns dabei?

Kurioserweise ist diese Dokumentation ausgerechnet deshalb, wegen der ganzen neugierigen Bedenkenträgerei, so unerhört gut. Das ZDF hat den Film Schöne neue Welt, den Kleber mit Angela Andersen realisiert hat, am Sonntag spät abends ausgestrahlt, man bekommt ihn noch in der ZDF-Mediathek. Klebers Haltung ist nicht nur quotentaktisch clever. Wenn er von permanenter Überforderung durch digitale Technik redet, dürfte er einem großen Teil des deutschen Publikums aus der Seele sprechen. Verschreckt oder überfordert wird hier, im positiven Sinn, keiner. Zugleich arbeitet sich der Film an einer Grundsatzfrage ab. Der Internet-Vordenker Jaron Lanier hat es im FAZ-Interview mit Mathias Müller von Blumencron einmal so gesagt: "Das Silicon Valley hat die freundlichste und gutmütigste Diktatoren-Klasse in der Geschichte der Menschheit", aber irgendwann werden diese Gründer sterben und was danach kommt "wissen wir nicht und wir können es auch nicht kontrollieren".

Genau diesen Ansatz verfolgt gewissermaßen Kleber, wenn er bei allem, was ihm in Silicon Valley begegnet, auch fragt, was diese Technologie schlimmstenfalls anrichten kann, wenn sie in andere oder überhaupt in falsche Hände fällt.

Da wird aus Jennifer Doudnas revolutionärer Methode zur Gencode-Veränderung schnell ein Werkzeug für das Züchten neuer Wesen und aus Internet-Versorgung dank solargetriebener Ballone einfach nur die totale Überwachung. Den gesellschaftlichen worst case skizziert Neil Jacobstein für den Arbeitsmarkt. Der Professor für künstliche Intelligenz und Robotik an der Universität Stanford ist besorgt. Wenn die Sache aus dem Ruder läuft, "werden Menschen auf der Strecke bleiben, die sich heute noch nicht vorstellen können, dass es sie trifft", sagt er und prognostiziert Unruhen. "Die Reichen müssen dann ihre Kinder von Bewaffneten zur Schule eskortieren lassen", warnt Professor Jacobstein und empfiehlt deshalb ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle.

Der Deutsche Sebastian Thrun, heute einer der kalifornischen Stars, der für Google das erste selbstfahrende Auto entwickelte, trägt eine andere Erkenntnis bei: "Die Langsamkeit der Regierung ist ein Grund, warum Silicon Valley so gut funktioniert", sagt er. Europäische Regulierungsbehörden haben inzwischen tatsächlich jede Menge Erfahrung mit einer Economy, die vor allem nach ihren eigenen Regeln arbeitet. Die digitale Verwandlung der Welt verunsichert, und das habe großen Anteil am "Trend zu autoritären Figuren", analysiert der Künstler Jeremy Mayer und dreht damit alles im Film Gesehene noch einmal eine entscheidende, nämlich weltpolitische Wendung weiter. Und doch: "Jetzt ist die aufregendste Epoche der Geschichte".

Kleber aber, immer noch ungerührt, spürt da nichts. Er findet, wir Europäer seien aus anderem Holz: "Das ist nicht unser Trip". Und für ein einziges Mal wirkt der Film sagenhaft naiv.

© SZ vom 21.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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