Debatte um Einfluss auf Filmentstehung:Alles auf Anfang

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Illustration: Lisa Bucher (Foto: Lisa Bucher)

Mit einem Gastbeitrag hat Regisseur Dominik Graf auf die Drehbuchautoren-Initiative "Kontrakt 18" reagiert. Die SZ dokumentiert drei Erwiderungen aus der Branche.

Von Dorothee Schön, Toni Lüdi und Wolfgang Tumler

Es rumort in der Film- und TV-Branche. Zur Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen haben rund 100 Drehbuchautoren die Selbstverpflichtung "Kontrakt 18" unterzeichnet - und dafür viel Unterstützung erfahren, aber auch Kritik: In seinem Gastbeitrag "Zweisamkeit bis zur Schmerzgrenze" (SZ vom 2. August) störte sich Regisseur Dominik Graf daran, dass "die Schuld für die jahrzehntelange Demütigung und Marginalisierung der Autoren" in Deutschland "wie mit einer verbalen Planierraupe in Richtung der Regisseure geschoben" werde und nicht etwa gen Produzent oder Sender. Graf nannte es "absurd, wenn wir nun gegeneinander zur Attacke blasen" und warb für einen vertrauensvollen Austausch zwischen Autor und Regie als Geburtshelfer und Beschützer fiktionaler filmischer Erzählungen.

DIE DREHBUCHAUTORIN Dorothee Schön:

Lieber Dominik, In deinem Artikel nennst du es absurd, dass Drehbuchautoren und Regisseure gegeneinander zur Attacke blasen. Damit hast du absolut recht. Daher ist es wenig zielführend, wenn du Kontrakt 18 als "verbale Planierraupe" bezeichnest, die "die Schuld für jahrzehntelange Demütigung und Marginalisierung der Autoren in Richtung der Regisseure" schieben würde. Tatsächlich ist Kontrakt 18 eine Selbstverpflichtung, die gegenüber den Vertragspartnern bestimmte Standards der Mitsprache fordert, die übrigens in anderen Ländern selbstverständlich sind. Unsere Vertragspartner sind in der Regel die Produzenten, indirekt aber natürlich die Sender, die die Buchverträge diktieren - mit ihnen müssen wir unsere Forderungen aushandeln. Kontrakt 18 ist mitnichten eine Kampfansage an die Regie oder, wie es die Überschrift deines Artikels behauptet, ein "Ringen um die Hoheit am Set".

Tatsächlich geht es in Kontrakt 18 darum, aus dem Verantwortungsdreieck Redaktion-Produktion-Regie wieder ein Viereck mit dem Autor zu machen. Nach meiner Erfahrung verläuft die Frontlinie dabei keineswegs zwangsläufig zwischen Regie und Buch. Das mag in Einzelfällen zwar vorkommen, denn genauso wie es mittelmäßige Drehbücher gibt, gibt es mittelmäßige Regisseure, die ein Drehbuch nur als Steinbruch verstehen, aus dem sie sich nach Belieben bedienen und aus diesem "unfriendly takeover" auch noch Autorenhonorare für sich reklamieren. Doch die Machtposition der Regie, früher gestützt durch das künstlerische Ideal des "Autorenfilms", ist längst ausgehöhlt. Ich hätte vollstes Verständnis, wenn die Regisseure sich mit einem eigenen Kontrakt 18 gegen die zunehmende Beschneidung ihres Gestaltungsspielraums wehren würden.

Wir Autoren haben jedenfalls in der Regel schon einen jahrelangen Bearbeitungsmarathon hinter uns gebracht, bevor der Regisseur die x-te Fassung des Drehbuches das erste Mal in Händen hält. Bei der Stoffentwicklung haben bis dahin dem Autor keineswegs ein Redakteur und ein Produzent gegenübergesessen, sondern es sind inzwischen zwischen fünf und acht "Adabeis", die bei jeder Buchbesprechung mitdiskutieren. Und es werden jedes Jahr mehr. Dabei ist die darüber liegende Senderhierarchie (Fernsehspielchefs, Fernsehdirektoren, Programmkoordinatoren, Gemeinschaftsredaktionen ...) noch gar nicht mit eingerechnet, obwohl sie indirekt oft massiv Einfluss auf die Stoffe nehmen. Das Resultat ist dann nach der Überarbeitung der Überarbeitung der Überarbeitung oft nur noch medioker, selbst wenn jeder einzelne Mitdiskutant besten Willens war. Eine Suppe wird ja auch nicht dadurch genießbar, indem man alle Gewürze, die der Küchenschrank bereithält, hineinkippt. Doch da der Autor zwei Drittel seines Honorars erst bekommt, wenn das Buch final abgenommen und der Film gedreht wird, können es sich viele schlicht nicht leisten, die Kakophonie der geforderten Änderungswünsche zu ignorieren.

Und am Ende dieser mehrfachen "Waschgänge" entscheiden dann Redaktion und Produktion allein über die Regie, ohne den Autor auch nur zu fragen, wen er sich als Regisseur für seinen Stoff vorstellen könnte. Ist es nicht absurd, dass man als Autor überhaupt fordern muss, in dieser Frage gehört zu werden?! Ich jedenfalls habe 17 Tatort-Drehbücher für die unterschiedlichsten Redaktionen und Produktionen geschrieben und hatte kein Mitspracherecht dabei, wer mein Buch inszenieren soll. Kann es tatsächlich im Interesse von Produktion und Redaktion sein, einen Regisseur gegen den begründeten Widerstand des Autors zu bestimmen? Wohl ebenso wenig.

Und ist es wirklich so empörend, dass man sich mit einem Autor ins Benehmen setzen muss, wenn dessen Buch von Dritten umgeschrieben werden soll, wie Punkt 1 von Kontrakt 18 fordert? Auch wenn manche deiner Kollegen das vielleicht als Untergrabung ihrer Autorität missverstehen wollen, im normalen Leben fällt das wohl eher unter die Kategorie Anstand und Respekt. Und was die weiteren Forderungen betrifft, verstehe ich die Empörung ebenso wenig. Die Regisseure, mit denen ich arbeite, stört meine Anwesenheit bei Leseproben jedenfalls nicht, sofern diese im Zeitalter der radikalen Sparvorgaben überhaupt stattfinden. Sie tauschen sich auch tatsächlich gern mit mir über Muster und Rohschnitt aus und haben auch nichts gegen meine Nennung in der Öffentlichkeit einzuwenden. Nein, eine Kampfansage an die Regie sind diese Forderungen wohl kaum. Es ist eine Kampfansage an entfremdete Arbeitsbedingungen, die uns immer massiver aufoktroyiert werden.

Ohne ein gutes Drehbuch gibt es nur schwerlich einen guten Film. International operierende Produzenten haben das längst erkannt. Horizontal erzählte Serien, die durch Netflix, Amazon und Co. den Markt erobern, sind ohne starke Autoren nicht zu machen. Man konnte bisher zwar für die Arzt- und Krimireihen des deutschen Vorabendprogramms immer neue und beliebige Autoren anheuern (und feuern), ohne dass es auffiel. Aber eine Serie wie Dark oder Bad Banks braucht einen Headautor, der den erzählerischen Überblick behält, und der ist nicht mehr ungestraft austauschbar. Daher ist es kein Zufall, dass wir Autoren uns gerade jetzt zu Wort melden. Wir wollen kreative und mitverantwortliche Partner sein und nicht kujonierte Dienstleister. Und mit dieser Forderung sitzen wir tatsächlich im gleichen Boot mit den Regisseuren.

Venceremos!

Dorothee

Dorothee Schön, 56, ist Drehbuchautorin (Charité) und zweifache Grimme-Preis-Trägerin (Der letzte schöne Tag, Frau Böhm sagt Nein).

DER SZENENBILDNER Toni Lüdi:

Da streiten sich wieder Künstler, die ihre Kunst noch nicht verstanden haben. Der Egoismus blüht. Wer hat den Größeren? Es war natürlich schon ein Gag, wie die Filmregisseure zur Zeit des Autorenkinos sich als "Götter in schwarzem Leder", als alleinige Schöpfer des Filmwerkes etablieren konnten. Film ist nicht nur Text, Film ist nicht nur Inszenierung. Alle beteiligten Künstler tragen in ihrem Gewerk das ihrige bei zum gemeinsamen Erfolg.

Als Erster der Drehbuchautor, dann wird sich in der Regel ein Regisseur als Zweiter mit der Erzählung beschäftigen, als Dritter kommt der Szenenbildner, er sucht und entwirft die Welt, den Ort der Erzählung, und als Vierte die Kostümbildnerin, der Kostümbildner; kurz vor Drehbeginn wird ein Kameramann hinzugezogen. Ist das Material belichtet, das Schauspiel aufgezeichnet, kommt der Cutter und zerschneidet das Werk, manchmal folgt ihm auch ein Musiker, ein Komponist. In ihren Bereichen sind sie alle Schöpfer des Beitrags zum gemeinsamen Filmwerk. Es wundert mich nicht, dass es sehr schwer ist, große, überzeugende und berührende Filme zu machen. Erstaunt bin ich, dass dies doch manches Mal gelingt.

Es stünde nun beiden, den Drehbuchautoren und den Regisseuren, gut an, wenn sie die Bemühungen innerhalb der Verwertungsgesellschaften, zu einer gemeinsamen und fairen Wertung der verschiedenen Beiträge zum Filmwerk zu kommen, unterstützen würden.

Über die bisherige Praxis müssen wir nicht sprechen. Da haben die Egoismen der Regie zu skandalös unfairen Bedingungen geführt. Dafür sollten sich alle, die dieses System unterstützten, schämen.

Es gilt gemeinsam eine angemessene Wertung aller künstlerischen Beiträge zum Filmwerk zu finden. Der Streit zwischen den Drehbuchautoren und den "Filmautoren" führt nicht weiter. Diese Egoismen sollten überwunden werden.

Ein berührender Film, der die Zuschauer erreicht, ist immer das Ergebnis der gemeinsamen Arbeit einer Gruppe filmschaffender Künstler. Voraussetzung ist das Interesse an der Arbeit und der Respekt vor dem anderen. Das heißt: Um Filme zum Leben zu erwecken, müssen sich alle Beteiligten austauschen!

Toni Lüdi, 73, ist Filmarchitekt. Er war unter anderem für das Urdesign der Lindenstraße und das Szenenbild von Der Totmacher verantwortlich.

DER PRODUZENT Wolfgang Tumler:

Dominik Graf umreißt die entstandenen Probleme bei der Herstellung von Spielfilmen und TV-Movies im Bereich Drehbuch/Regie fair und genau. Das ist bei einem Kreativen in seiner Branche schon ein Alleinstellungsmerkmal.

Etwas zu kurz kommen zwei Aspekte: Der erste setzt das Maß für allen kreativen Austausch in diesen Berufen. Es ist einfach nicht genügend Kreativität im Land denkbar oder vorhanden, um die absurde Anzahl von Stücken, die der Markt jedes Jahr fordert, auf optimalem Niveau zu gestalten. Das gilt für Buch und Regie gleichermaßen. Damit feiert das Mittelmaß fröhliche Urständ, und die Spitzenwerke werden zu recht gefeiert. Der zweite Aspekt betrifft den Bedarf an fiktionaler Ware in Kino und TV. Der ist gewachsen und hat für die Beschaffung dieser Ware zuständige TV-Redaktionen (die auch die staatliche deutsche Spielfilmförderung dominieren) zur dritten kreativen Kraft befördert - mit zweifelhaften Folgen.

Sie entscheiden über sämtliche Schritte der Kreation intensiv mit, und zwar alle mit der Autorität der von ihnen verwalteten Gelder - die ihnen von uns anvertraut wurden - und bei Weitem nicht alle mit der gleichen hilfreichen Kompetenz. Das hat mit Ausbildungsgängen so viel zu tun wie mit Anpassungsfähigkeit, Selbsteinschätzung und kreativer Begabung.

Die TV-Redaktionen als Schaltstellen zwischen Drehbuch, Regie und Produktion haben maßgeblich zum Prä von Regie gegenüber dem Drehbuch gesorgt, weil dort ihre Optionen zum Eingreifen von der Vorbereitung über die Besetzung bis zum fertigen Film ungleich größer und fassbarer sind als beim Drehbuch. Dass sie auch in dieses gewöhnlich eingreifen oder das zumindest versuchen, wirft sie aber deutlich sichtbar auf ihre eigenen Möglichkeiten zurück und strapaziert gelegentlich die Autorenschaft grenzwertig. Die Legitimation allein aus ihrer Position heraus reicht für eine gleichwertige geschweige denn eine dominierende Mitwirkung nicht aus. Dominik Graf hat daher völlig recht, dass besonders das Drehbuch nur zwischen Autor und Regisseur entstehen soll.

Wolfgang Tumler, 71, ist bzw. war bis 2010 TV-Produzent (Jahrestage, Tatort) und zu Beginn seiner Karriere auch Regisseur (Löwenzahn, Tatort).

© SZ vom 13.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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